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… abgeleitet: Mit bösen Blumen in der Sammlung Scharf-Gerstenberg Baudelaire nachspüren

Die Ausstellung „Böse Blumen“ in der Sammlung Scharf-Gerstenberg wird aktuell stark beworben. Eine leuchtende, vulvaartige Blüte zieht Aufmerksamkeit auf sich – fast entsteht der Eindruck, es ginge um feministische Themen. Doch diese Suggestion führt in die Irre. Die Ausstellung widmet sich vielmehr Charles Baudelaires berühmtem Gedichtband „Les Fleurs du Mal“ („Die Blumen des Bösen“). Es geht um die Themen, die Baudelaire in seinen Gedichten poetisch bearbeitet hat: Schönheit und Verfall, Erotik und Krankheit, Künstlichkeit und Natur.

Baudelaires Werk wird oft als wegweisend benannt, weil er die klassische Idee, dass das Schöne auch das Gute sein müsse, radikal in Frage stellte. In seinen Gedichten zeigt er, wie Schönheit im Hässlichen aufblühen kann, wie das Morbide eine unwiderstehliche Faszination ausübt und wie das Leben selbst in seinem Verfall erhaben bleibt. Die Ausstellung will diesen Ambiguitäten nachspüren und zeigen wie die Idee der bösen Blumen in der bildenden Kunst wirkmächtig wurde und bis heute ist.


Nachgeholt: Eine Begegnung mit Baudelaires Gedichten

Ich bin mit wenig Vorwissen über Baudelaire in die Ausstellung gegangen, aber mit der Hoffnung, hier eine Einführung in sein Werk zu finden. Ich hatte erwartet, die Gedichte selbst würden Teil der Ausstellung sein, suchte nach einer direkten Auseinandersetzung mit seinen Texten. Tatsächlich liegt der Fokus klar auf der bildenden Kunst, die sich von Baudelaire inspirieren ließ oder deren Verbindung zu seinem Werk durch die Kurator*innen hergestellt wird.

Das ist eine interessante Herangehensweise, aber es blieb für mich etwas auf der Oberfläche, weil „der Bezugspunkt nicht mit ins Bild“ gesetzt wird. Ich wollte mehr über Baudelaires Texte lernen, über die Symbolik und die Themen, die ihn so bedeutend gemacht haben. Die Gedichte selbst bleiben im Hintergrund. Ich begann also nach dem Besuch, selbst nach seinen Texten zu suchen, und habe drei seiner berühmtesten Werke ausgewählt, die Baudelaires Ideenwelt repräsentieren – ein Bogen, der von der Neugierde über die Akzeptanz der Vergänglichkeit bis hin zur Isolation des Künstlers reicht.

Baudelaire entfaltet in seinen Gedichten eine Symbolik, die mehrdeutig bleibt, ohne sich in Unschärfe zu verlieren. Er zeigt uns die Erhabenheit in der Vergänglichkeit, die Verführungskraft des Morbiden und die Gleichzeitigkeit von Lust und Tod. Seine Dichtung ist wie ein scharfes Messer: präzise, durchdringend, und dennoch voller Offenheit für Interpretation. Kein Wunder, dass diese Texte bis heute Künstler*innen inspirieren.

Zwei herausstechende Arbeiten zerreißen das Spannungsfeld der Ambiguität schon fast. Die geschändete Schönheit einer weiblichen Werbefigur in Kabul auf der Tür eines Beauty Salons, fotografiert von Wakil Kohsar. Da prallen unterschiedliche Wertesysteme ungebremst aufeinander. Die stachelige „SHE“ von Alexandra Hendrikoff aus ultra-zarten Naturstoffe, so fein aufgebaut, dass man fast erwartet, die Skulptur könnte anfangen zu atmen. Intimität eingesperrt und ausgestellt in einem Glaskasten.

Aber ich will erst einmal die Beschäftigung mit den Texten voranschieben.

Hier exemplarisch drei berühmte Gedichte von Charles Baudelaire im Original und einer deutschen Übersetzung.

Correspondances

La Nature est un temple où de vivants piliers
Laissent parfois sortir de confuses paroles;
L’homme y passe à travers des forêts de symboles
Qui l’observent avec des regards familiers.

Comme de longs échos qui de loin se confondent
Dans une ténébreuse et profonde unité,
Vaste comme la nuit et comme la clarté,
Les parfums, les couleurs et les sons se répondent.

Il est des parfums frais comme des chairs d’enfants,
Doux comme les hautbois, verts comme les prairies,
— Et d’autres, corrompus, riches et triomphants,
Ayant l’expansion des choses infinies,

Comme l’ambre, le musc, le benjoin et l’encens
Qui chantent les transports de l’esprit et des sens.

Zusammenhänge

Die Natur ist ein Tempel, wo lebendige Säulen
Zu Zeiten halblaut Worte hervorquellen lassen,
Und der Mensch schreitet durch Wälder von Symbolen,
Die ihn mit vertrauten Blicken messen.

Wie lange Echos, die von Ferne sich vereinen
In tiefer, dunkler und geheimnisvoller Einheit,
So groß wie die Nacht, so groß wie das Licht,
Antworten sich Düfte, Farben und Klänge.

Es gibt Düfte, frisch wie Kinderleiber,
Sanft wie Oboen, grün wie Wiesen –
Und andere, verdorben, üppig und triumphal,
Die sich weiten wie unendliche Dinge:

Wie Ambra, Moschus, Weihrauch und Benzoe,
Die die Verzückung von Geist und Sinn besingen.

Deutsche Übersetzung nach Stefan George

Dieses Gedicht ist wie eine Einladung, die Welt neu zu betrachten. Baudelaire beschreibt die Natur als einen Tempel voller Symbole. Alles steht miteinander in Verbindung: Düfte, Farben und Töne antworten aufeinander in einem geheimnisvollen Einklang. Der Mensch wird hier nicht als Herr der Dinge dargestellt, sondern als Wanderer in einem Wald von Zeichen, die ihn mit vertrauten Blicken beobachten.

„Correspondances“ steht für die Fähigkeit, hinter die Oberfläche der Dinge zu sehen. Es fordert dazu auf, mit Neugierde und Offenheit die Verbindungen zwischen den Dingen zu erfassen, ohne sie vorschnell bewerten zu müssen. Diese Haltung ermöglicht es, alte, konventionelle Vorstellungen loszulassen und das Wesen der Dinge sowie ihre Wechselwirkungen unvoreingenommen wahrzunehmen. Diese poetische Sichtweise ist auch eine Mahnung: Fortschritt entsteht nicht durch das Verharren im Alten, sondern durch die Bereitschaft, das Verborgene zu entdecken und die Welt als ein Netz von Beziehungen zu begreifen.

Hymne à la Beauté

Viens-tu du ciel profond ou sors-tu de l’abîme,
Ô Beauté ? ton regard, infernal et divin,
Verse confusément le bienfait et le crime,
Et pour cela l’on te compare au vin.

Tu contiens dans ton œil le couchant et l’aurore;
Tu répands des parfums comme un soir orageux;
Tes baisers sont un philtre et ta bouche une amphore
Qui font le héros lâche et l’enfant courageux.

Sors-tu du gouffre noir ou descends-tu des astres?
Le Destin charmé suit tes jupons comme un chien;
Tu sèmes au hasard la joie et les désastres,
Et tu gouvernes tout et ne réponds de rien.

Tu marches sur des morts, Beauté, dont tu te moques;
De tes bijoux l’Horreur n’est pas le moins charmant,
Et le Meurtre, parmi tes plus chères breloques,
Sur ton ventre orgueilleux danse amoureusement.

L’éphémère ébloui vole vers toi, chandelle,
Crépite, flambe et dit: Bénissons ce flambeau!
L’amoureux pantelant incliné sur sa belle
A l’air d’un moribond caressant son tombeau.

Que tu viennes du ciel ou de l’enfer, qu’importe,
Ô Beauté! monstre énorme, effrayant, ingénu!
Si ton œil, ton souris, ton pied, m’ouvrent la porte
D’un Infini que j’aime et n’ai jamais connu?

De Satan ou de Dieu, qu’importe? Ange ou Sirène,
Qu’importe, si tu rends, fée aux yeux de velours,
Rythme, parfum, lueur, ô mon unique reine!
L’univers moins hideux et les instants moins lourds?

Hymne an die Schönheit

Kommst du aus tiefen Himmeln oder aus dem Abgrund,
O Schönheit? Dein Blick, infernal und göttlich,
Verströmt gleichermaßen Wohltat und Verbrechen,
Und darum vergleicht man dich mit dem Wein.

In deinem Auge liegt der Sonnenuntergang und die Morgenröte;
Du verströmst Düfte wie ein stürmischer Abend;
Deine Küsse sind ein Trank, und dein Mund ist ein Krug,
Der Helden feige und Kinder mutig macht.

Kommst du aus der schwarzen Tiefe oder von den Sternen herab?
Das bezauberte Schicksal folgt deinem Saum wie ein Hund;
Du säst wahllos Freude und Katastrophen,
Und du beherrschst alles, ohne für etwas zu haften.

Du schreitest über Tote, Schönheit, über die du dich lustig machst;
Zu deinem Schmuck gehört das Grauen, das nicht minder entzückt,
Und der Mord, einer deiner liebsten Schmuckstücke,
Tanzt verliebt auf deinem stolzen Bauch.

Das geblendete Insekt fliegt zu dir, Kerze,
Knistert, flackert und sagt: Preisen wir dieses Licht!
Der keuchende Liebhaber, über seine Geliebte geneigt,
Gleicht einem Sterbenden, der sein Grab liebkost.

Ob du aus dem Himmel kommst oder aus der Hölle, was macht’s,
O Schönheit! Monströses, schreckliches, unschuldiges Wesen!
Wenn dein Blick, dein Lächeln, dein Fuß mir die Tore öffnet
Zu einer Unendlichkeit, die ich liebe und nie gekannt habe?

Von Satan oder von Gott, was macht’s? Engel oder Sirene,
Was macht’s, wenn du – Fee mit samtenen Augen –
Rhythmus, Duft, Licht gibst, o meine einzige Königin!
Das Universum weniger scheußlich und die Momente leichter machst?

Deutsche Übersetzung angelehnt an Walter Benjamin

Baudelaire zeigt in diesem Gedicht die Ambivalenz der Schönheit. Sie ist zugleich göttlich und teuflisch, Leben spendend und zerstörerisch. Liebe, Verlangen und Sehnsucht richten sich auf etwas Vergängliches – und doch ist genau diese Vergänglichkeit das, was die Erfahrung so intensiv macht.

„Hymne à la Beauté“ führt uns einen Schritt weiter: Das konventionelle Denken, das Schönheit mit Reinheit oder Ewigkeit gleichsetzt, wird hier schon überwunden. Baudelaire zeigt, dass Schönheit ambivalent ist – sie ist zugleich göttlich und teuflisch, Leben spendend und zerstörerisch. Er thematisiert das Verlangen und die Sehnsucht, die sich auf das Vergängliche richten. Diese Vergänglichkeit wird nicht als Makel gesehen, sondern als wesentlicher Teil der Schönheit selbst.

Baudelaire spielt in diesem Gedicht mit der geläufigen französischen Bezeichnung des „petite mort“ – des kleinen Todes, als Metapher für den Orgasmus. Der Liebesakt wird hier nicht nur zur Feier des Lebens, sondern auch zur Vorahnung des Endes, zumal der Dichter an der zunehmend entstellenden Syphilis erkrankte, damals ein Todesurteil. Die Lust, so intensiv und überwältigend sie ist, trägt immer das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit in sich. In dieser Dualität zeigt Baudelaire, dass die Schönheit des Lebens nicht trotz seiner Endlichkeit besteht, sondern gerade durch sie. Der „kleine Tod“ der Lust ist eine Erfahrung, die uns die Fülle und zugleich die Grenzen unserer Existenz spüren lässt.

L’Albatros

Souvent, pour s’amuser, les hommes d’équipage
Prennent des albatros, vastes oiseaux des mers,
Qui suivent, indolents compagnons de voyage,
Le navire glissant sur les gouffres amers.

À peine les ont-ils déposés sur les planches,
Que ces rois de l’azur, maladroits et honteux,
Laissent piteusement leurs grandes ailes blanches
Comme des avirons traîner à côté d’eux.

Ce voyageur ailé, comme il est gauche et veule!
Lui, naguère si beau, qu’il est comique et laid!
L’un agace son bec avec un brûle-gueule,
L’autre mime, en boitant, l’infirme qui volait!

Le Poète est semblable au prince des nuées
Qui hante la tempête et se rit de l’archer;
Exilé sur le sol au milieu des huées,
Ses ailes de géant l’empêchent de marcher.

Der Albatros

Oft fangen die Matrosen, um sich zu erheitern,
Die Albatrosse ein, die großen Vögel des Meers,
Die, trägen Reisegefährten, den Kiel begleiten,
Der das bittere Wasser durchschneidet und lehrt.

Kaum sind sie auf das Deck der Schiffe niedergelegt,
Da sind die Himmelskönige ungeschickt und scheu,
Sie lassen kläglich ihre weißen, großen Schwingen
Wie Ruder schleppen an den Körpern seitwärts vorbei.

Wie unbeholfen ist der geflügelte Wanderer nun!
Wie hässlich und wie lächerlich, der einst so schön!
Einer ärgert sich und reizt mit der Pfeife den Schnabel,
Ein anderer hinkt nach, der Flügelkrüppel zu mimen.

Der Dichter ist dem Fürsten der Wolken gleich,
Der sich im Sturm belustigt und den Bogenschützen verhöhnt;
Verbannt auf die Erde, unter dem Spott des Pöbels,
Hindern ihn die Riesenflügel am Gehen.

Deutsche Übersetzung nach Walter Benjamin (leicht angepasst)

In „L’Albatros“ vergleicht Baudelaire den Dichter mit dem Albatros: Wenn der majestätische Vogel in seinem Element – in den Lüften über dem endlosen Meer – ist, kommt das Wesen seiner Erhabenheit zur Geltung. Sobald er in ein fremdes Umfeld gezwungen wird verliert er seine Anmut. Auf dem Schiff wird der Albatros lächerlich gemacht – ebenso wie der Künstler, der in einer profanen Welt nicht verstanden wird.

Das Gedicht zeigt, dass das Wesen eines Künstlers nur in seinem richtigen Medium zur Geltung kommt. Der Albatros ist in der Luft ein König, doch auf dem Deck des Schiffs wird er unbeholfen, seine Größe wird zu einer Last. Ebenso ergeht es dem Künstler, der sich mit Gedanken und Empfindungen beschäftigt, die in einer konventionellen Umgebung keinen Raum finden. Baudelaire drückt hier die Isolation aus, die mit dem Streben nach Größe und Tiefe einhergehen kann.

Zurück zur Ausstellung

Es gibt reichlich Darstellungen von Frauen mit Blume in der Hand. Diese direkten allegorischen Bilder, die sich auch meist im Titel auf Baudelaires Gedichtband beziehen, sind für mich aber keine Höhepunkte der Ausstellung. Da wagt die Ausstellung wenig und versucht also nicht mit Baudelaire neugierig nach der Schönheit im Ungemach zu suchen.

Das geschieht dann allerdings z.B. in einer Videoinstallation, die Filme von Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl zeigt. Hier werden Aufnahmen von ihr nebeneinander gestellt: Links Szenen aus dem Film „Triumph des Willens“ (1935) über den Reichsparteitag in Nürnberg und rechts „Impressionen unter Wasser“ (2002) zusammengebracht von Edgar und Wolfgang Davis. Können die zur Machtdarstellung choreografierten Bewegungen von fahnentragenden Soldaten und SA neben die anmutigen Aufnahmen von bunten Fischschwärmen gesetzt werden? Sind das womöglich beides Naturaufnahmen – Beobachtungen von irdischen Spezies bei ihrem Handeln?

In diesem Bereich bietet die Ausstellung interessante Untersuchungen an. Die Ästhetik des realen Schreckens bzw. der Vernichtung wird mit mehreren Arbeiten thematisiert. Im Ausstellungstext ist dazu zu lesen: Bereits in den 1950er Jahren hielt die Ästhetisierung der Atombombe Einzug in die amerikanische Populärkultur. Als hätten die Atombomben­abwürfe von 1945 in Hiroshima und Nagasaki niemandem wirklich geschadet, wurden Schönheitsköniginnen mit dem Titel »Miss Big Bang« oder »Miss A-Bomb« gewählt, Sticker, Plakate oder Tätowie­rungen von auf Atombomben reitenden Pin-up-Girls entworfen und entsprechende Popsongs geschrieben. Selbst ein Badeanzug wurde nach dem Atoll getauft, auf dem zahlreiche Kernwaffentests statt­gefunden hatten: der bis heute beliebte Bikini.

Amerikanische Atombombentests in Nevada, 4. Juni 1953 und 24. Juni 1957
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Der Garten des Grauens

Die Komik in der lebensrealen Depression zu fassen, ist vielleicht eine moderne Spielart dessen, das eigentliche Wesen der Dinge/Situationen zu erkennen.

Aus dem Bildband Garten des Grauens, 2019, von UIf Soltau

Dazu nochmal Text aus der Ausstellung:
Spleen und Ideal« ist der erste und größte Abschnitt der Fleurs du Mal überschrieben. In der Ausgabe von 1861 umfasst er 85 von ins­gesamt 126 Gedichten. In antithetischer Konstellation zum Ideal – die Opposition der beiden Begriffe bildet gewissermaßen das Grund­gerüst des gesamten Bandes – entfaltet der ›Spleen‹ ein ganzes Spektrum von Bedeutungsnuancen. Im Französischen gern mit ennui (Langeweile) in Verbindung gebracht, lässt ›Spleen‹ sich auch als Melancholie oder Schwermut übersetzen, als Niedergeschlagenheit, Verdruss oder Ärger bis hin zur tiefen Trostlosigkeit und Depression.

Der Baudelaire’sche ›Spleen‹ ist die Verzweiflung an einer Welt, die dem Ideal von Schönheit, Gerechtigkeit und Harmonie nicht ent­sprechen kann – eine Depression, der der schöpferische Funke aber (oder gerade deswegen) noch nicht abhanden gekommen ist. Ange­sichts einer durchrationalisierten und durchkapitalisierten Welt (ein Topos, der sich schon bei Edgar Allan Poe findet, den Baudelaire mit seinen Übersetzungen berühmt gemacht hat) ist es gerade das Wachstum der »Blüten des Bösen«, das neue Hoffnung verleiht.

Anonym, Planteur d’homme, um 1790
›Der Menschenpflanzer‹, Ätzradierung
28 × 19 cm, Bibliothèque nationale de France, Paris Inv.-Nr. M310 479
Foto: Bnf, Paris

Die von Ulf Soltau gesammelten Gärten des Grauens sind Zeugnisse einer nun schon seit Jahren um sich greifenden Mode, Vorgärten in Steinwüsten zu verwandeln. Sonderbarerweise scheint gerade die Nähe zur Natur – die meisten dieser Vorgärten sind in ländlichen Gegenden zu finden – den Wunsch nach einem gefängnisähnlichen Milieu zu wecken. In diesen kunst- und poesiefernen, von Ordnungs­zwang dominierten Arealen scheint nicht allein die Arbeit, sondern jegliches Tun zum Tode verurteilt. Welch deprimierende Aussicht – wenn nicht auch hier bisweilen die »Blüten des Bösen« austreiben würden, etwa in der Gestalt einer riesenhaften Phallus-Konifere, flankiert von hodenartigen Gebüschen, die in einer überraschend ironischen Wende dem gesamten lebensfeindlichen Projekt hohn­spricht.

Das kleine Bildchen ›Der Menschenpflanzer‹ thematisiert den Moment der Geilheit, aus dem die Befruchtung entsteht und das Potenzial zum Wachstum in und aus allem. Der Samen fällt auf den fruchtbaren Boden, aus dem die ganze Welt erblüht. Die Lust als teuflischer Engel und Antrieb des Ganzen.


Die Blumen, die in uns blühen

Für mich lag die eigentliche Begegnung mit Baudelaire nicht in der Ausstellung, sondern in seinen Gedichten. In ihnen entfaltet sich eine Welt, die gleichermaßen anziehend wie abgründig ist, voller Schönheit und Dunkelheit. Sie laden uns ein, Schönheit und Leben in ihrer ganzen Ambivalenz zu umarmen – das Flüchtige, das Morbide, das Verlockende und das Schmerzliche.

Die Künstler*innen, deren Werke in dieser Ausstellung zusammengebracht wurden, folgen dieser Einladung, indem sie die Widersprüchlichkeit der Welt sichtbar machen. Doch während die Gedichte präzise und mit klarer Symbolik in diese Abgründe führen, bleiben die Verweise der Kunst in ihrer Offenheit manchmal rätselhaft – wie in widersprüchliche Richtungen weisende Wegweiser, die uns mit dem Verlangen zurücklassen, tiefer zu graben. Vielleicht ist es genau das, was die „bösen Blumen“ erreichen wollen: uns neugierig machen auf das dunkle Licht in uns selbst, in dem ungekannte Gewächse gedeihen. Die Ausstellung kann helfen, den Mut zu finden, es zuzulassen.


›Böse Blumen‹, in der Sammlung Scharf-Gerstenberg noch bis 04.05.2025.