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1. Februar 2011 18:11:07

… drei: Tom Tykwer gibt Nachhilfe zur Auflösung des deterministischen Biologieverständnises

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Der ideale Ort, um den neuen Film von Tom Tykwer Drei anzusehen, ist natürlich das Eiszeit Kino. Dort hat man fast das Gefühl, die Geschichte würde live über einige Außenkameras ins Kinoinnere übertragen, da eine ganze Reihe der wichtigsten Filmsets in direkter Nachbarschaft liegen: Das Badeschiff, das Jolesch, das Prinzenbad, die Hochbahn, die Bürgermeister-Imbissbude, usw. Dennoch ist es weniger ein Kiez-Film, als vielmehr ein Milieu-Film. Einigermaßen gut situiert und arriviert im Bereich der Berliner Creative-Industries tummelt sich in großer Gewohnheit ein langjährig zusammenlebendes Pärchen. Sie ist Redakteurin und Moderatorin in einem TV-Kulturjournal, das eine Kopie der 3sat-Kulturzeit zu sein scheint, er leitet ein etwas dümpelndes Unternehmen, in dem er für Künstler deren Entwürfe für Skulpturen oder Installationen umsetzt. Man ist liberal, debattiert ähnlich angeregt über Kopftuchverbote wie Begräbniskulturen, hat eine schöne aber mit Büchern und Bildern vollgestopfte Wohnung, liebt gutes Essen beim Österreicher, aber genehmigt sich auch mal ein bisschen kiezigen Fastfood, besucht Ausstellungen und Theater und versucht sich dabei totzdem ein bisschen körperlich fit zu halten. Mit anderen Worten das dargestellte Pärchen ist genauso alt wie ich, lebt ganz genau so – theoretisch freizüg und praktisch kleinbürgerlich – wie ich und mein ganzes Umfeld. Ich hatte wirklich das Gefühl, die Lebensgeschichte eines Freundes erzählt zu bekommen, zumal auch noch reihenweise Bekannte im Film erschienen, die einfach als sie selbst auftauchten. So wie sonst Stars kleine Gastauftritte als sie selbst bekommen, kommen in Drei die Normalos von nebenan vor die Kamera. Die Milieustudie trifft also ziemlich genau.

Und dann, im einem Moment, in das gezeigte Paar, allerdings jeder für sich, in eine mehr oder weniger bedrohliche Lebenskrise kommt, tritt da einer in das Leben der beiden, der ganz anders ist: Ein Wissenschaftler mit nüchternen Ansichten, der nicht lange theoretisiert, einer mit einer leeren Neubauwohnung, der sowohl in einem Chor sing, wie Fußball spielt, der als Ossi sowohl DDR-Nostalgiker (MZ-Fahrer), wie super erfolgreicher global agierender Unternehmer ist. Kein Wunder, dass dieser Mann, Verführungspotenzial für Männlein wie Weiblein hat und dies auch wahrzunehmen weiß. Was folgt? Natürlich: Verwirrende Gefühlslagen, sexuelle Irritationen, Heimlichkeiten und schließlich, Aufgabe der bisher als sicher geglaubten Gewissheiten, wodurch das Leben noch viel bunter wird.

Besonders gefallen hat mit die Selbstsicherheit und lockere Skizzenhaftigkeit, mit der Tykwer diesen FIlm erzählt. Er ist cool genug die Handlung gleich zu Anfang in zwei Varianten durchzuspielen. Einmal mit dem Blick durchs Fenster aus einem fahrenden Zug, wo man Kabelleitungen sieht, die von einer Erzählerstimme, in knappen Worten zur Metapher des Zusammenlebens verdichtet werden (siehe Trailer), und direkt anschließend noch einmal als völlig unkommentierte Sasha-Waltz-Tanzszene. D.h. Tykwer geht es nicht um dramturgische Spannung – wie sollte das noch gelingen, wenn der Spannungsbogen schon nach 3 Minuten zweimal komplett durchlaufen ist? – ihm geht es darum, Stereotypen in Frage zu stellen. Er will Schwarz-/Weiß- und Freund-/Feinddenken auflösen, geht gegen die Idee eines allgegenwärtigen antagonistischen Dualismus an und zeigt fast schon überdeutlich, dass es zwar ganz verschiedene Lebensweisen, Vorstellungen und Pole gibt, dass sie sich aber viel mehr einander durchdringen als unversöhnlich gegenüberstehen.

Und natürlich die drei Hauptdarsteller: Sophie Rois, Sebastian Schipper und Devid Striesow. Alle drei brilliant! Dazu noch Musik von David Bowie – was kann da noch schief gehen?
So ist Drei ein höchst anschiegsamer und sehenswerter Film geworden. Aber siehe Einleitung: Ich bin ja auch genau in der Zielgruppe.

 

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