Man bekommt jetzt dauernd Bilder über WhatsApp oder sms von Freunden, Bekannten, Verwandten, die am Strand herumlungern, unverschämt fröhlich sind, Ferien im Süden machen … In den guten alten Zeiten gab´s das als Dia-Vortrag oder Fotos-Gucken nach dem Urlaub, und das war deutlich humaner. Man braucht das nicht,
wenn´s andauernd regnet.
Halt macht der Regen vor gar nichts, nicht einmal vor Büchern,
auch wenn man sie bloß mal schnell untern Arm klemmt, um zu Dr. H. über die Strasse zu gehen, Kaffee trinken. Dieser Roman ist übrigens ein schimmerndes Meisterwerk, ein Spionage-Thriller, in dem nahezu nichts passiert, der fast ausnahmlos aus Gesprächen besteht – und doch so aufregend und intensiv daherkommt und von sprachlicher Brillanz ist: John le Carré auf dem Höhepunkt seiner Kunst. Schnell noch lesen, bevor es im Herbst einen neuen Roman le Carrés geben wird – und man will es gar nicht glauben, aber nach 27 Jahren holt er seinen dicklichen, kleinen Agenten George Smiley, der das abseitige Hobby `deutsche Barocklyrik´ pflegt, wie ein Frosch aussieht, aber einen Verstand hat, für den andere ihre Augen hergäben, noch einmal von der Rentnerbank; jenen George Smiley, dem er 1979 mit „Agent in eigener Sache“ ein derart funkelndes Solo gönnte, wie es einem James Bond nie vergönnt war. Ein Roman, der übrigens mit einem sowjetischen Überläufer am Schlesischen Tor in Kreuzberg endet und in diesem Schlußkapitel die eindringlichste und beste Schilderung der „Grenzübergangsstelle Oberbaumbrücke“ bietet, die in der Literatur zu finden ist.
am allerallerletzten Vorstellungsabend (vor) der Volksbühne
Hübchen Wuttke Peschel noch einmal gemeinsam auf der Bühne !
noch eine Vorstellung und ein Abschied (am Berliner Ensemble)
Verklärung ist Siegellack und Wundpflaster der Geschichte gleichermaßen. Sie heilt die Wunden nicht, macht die Sache jedoch erträglicher und schützt vor spätem Schmutz. Nur die professionellen Historiker brechen da etwas ohne Not wieder auf. Seit einigen Jahren schon arbeitet man – es sieht nach einer ganzen Industrie aus – an der Verklärung dessen, was der zweite deutsche Neuanfang innerhalb eines halben Jahrhunderts war, und dabei insbesondere an der der kulturellen Aufbauarbeit durch das, was sich gerne Szene oder Underground nennt. Und seit sich der Staub gelegt hat, sieht man klarer, was es war: die historisch einmalige Umwandlung und Neubesiedlung einer alten Stadt; hier: des Berliner Ostens nach dem Fall der Mauer 1989. Von der Warte der Kulturproduzenten und –konsumenten waren es: Die wilden Jahre, und glaubt man dem Untertitel des neuen Essay- und Fotobandes „Berlin Heartbeats“, halten sie bis heute an: „Stories from the Wild Years 1990 – Present“. Und so erzählen sie, die üblichen Verdächtigen von Dimitri Hegemann, über Klaus Biesenbach, Sven Marquardt bis Frank Castorf und Sasha Waltz von der guten alten Zeit; am schönsten OL und Christiane Rösinger; dazu gibt es reichlich Photos von Ben de Biel bis Rolf Zöllner.
Schön, aber damit könnt´s jetzt genug sein, denn sehr viel lehrreicher und interessanter wären jetzt die Geschichten jener Damen und Herren, die tagsüber die soziale, politische und vor allem natürlich wirtschaftliche Übernahme des Ostens organisierten und nachts in den verruchten neuen Clubs ein bisschen Spaß hatten. („Als die Leute vom Club um zwölf aufstanden, hatte ich bereits zwei Wohnblocks und ein Chemiekombinat verkauft.“)
Trotzdem, ein schönes Geschenk, der Band, für Oma Sylvia, die Mitte der 1970er den ersten Kinderladen in Schöneberg mit aufgebaut hat oder Kostümassistentin war am Berliner Ensemble und längst wieder nach Ravensburg oder Radebeul zurückgekehrt ist.
Berlin Heartbeats. Stories from the Wild Years 1990 – Present; hg. Von Anke Fesel und Chris Keller (zweisprachig deutsch und englisch!) ; Suhrkamp, 256 S.; €29,90
Was macht er da, der Jürgen? Er knipst. Nun, natürlich knipst Juergen Teller nicht, es handelt sich um die hohe Kunst der Fotografie, und dahinter steckt ein Konzept; aber von der geleckten und gelackten Fotografie, vom Kommerz und den „Fotostrecken“ kommend führt er das Gewerbe und seine Kunst an den Rand dessen, was alle machen – an die Familienbilder, die Naturaufnahmen, die Urlaubsfotos und auch an jenen Wust von Abfallfotos, der vor der Digitalisierung noch zu kuriosen Sammlungen voller Papierrechtecke führte, die man nicht wegwerfen wollte, obwohl sie klarer Ausschuss waren: Onkel Karl hat grade die Hand vorm Gesicht, der Hase is leider schon halb ausm Bild gehüpft, das neue Auto ist verwackelt.
Solcherart Geknipstes – die Ausstellungsmacher nennen es „eine gewisse Beiläufigkeit“ – hängt Juergen Teller zwischen seine klassischen Promifotos und eine Handvoll brillanter Riesenformate – der Urwald: WOW!!! – und legt noch ein paar Frühstücksteller mit aufgedruckten Porträts von Elton John, Tom Cruise oder Mama in Vitrinen dazu. Die gewisse Beiläufigkeit zeigt sich sogar bei der lässigen Hängung. Eigentlich will die Ausstellung, ehrlich gesagt, woanders sein. Schlendernd erfassen ist die richtige Haltung dazu.
Martin-Gropius-Bau: Juergen Teller. Enjoy Your Life! bis 3. Juli
In Berlin ist jetzt so gut wie alles weg von Herbert, abgespielt, abgesetzt, ausgelaufen, es gibt nur noch ein paar mal „Pfusch“ an der Volksbühne (ganz ganz schwer, dafür Karten zu kriegen), ein einziges Mal noch die „Apokalypse“ und weiterhin im Repertoire der Komischen Oper seine Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“. Er wird dann an der Schaubühne wieder auftauchen, Herbert Fritsch, und jetzt haben sie ihm zum Abschied, zum Umzug und zum Dank den Berliner Theaterpreis gegeben.
Seine Schauspieler – Sebastian Blomberg, Corinna Harfouch, Wolfram Koch, Josef Ostendorf, Bettina Stucky, ChrisTine Urspruch und zwei Hände voll weiterer Fritschler, Fritschisten, Fritschovskis – gaben ihr Bestes in Victoria Behrs Wahnkostümen auf der Bühne des Festspielhauses gestern mittag. Das steckte alle an, Castorf – hier seine Laudatio – , Lederer, Oberender, alle lümmelten sich irgendwie angefixt durch ihre Reden; über allem schwebte der Geist des Vergänglichen, das Ende einer Ära, und brillant performten die Fritschianer die Begründung der Preisjury. Besser geht Preisverleihung nicht.
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