Wer heute überhaupt noch wählen geht, hat verstanden, dass er/sie als Wähler/in niemals in Deckungsgleichheit mit der gewählten Partei kommen wird. Man wählt eine Partei weil man glaubt, dass sich mit ihr am ehesten das eigene gesellschaftliche Gefühl Richtung politisches Handeln herausbildet. Wahlkampf darf sich darum nicht auf Details kapriziert, sondern die Grundhaltung der politischen Richtung muss verdeutlicht werden. Das haben aber nur die wenigsten Parteien drauf.
„Fahren auf Sicht“ ist guter Konservatismus
Die CDU und die Kanzlerin macht im Wahlkampf sehr viel richtig. Es geht den meisten Menschen in diesem Land recht gut und es ist klug, dies zu betonen. Besonders wenn die eigene Klientel auf der Gewinnerseite steht, macht es keinen Sinn, die Lage schlecht zu reden. Denn man wählt am liebsten diejenigen, von denen man sich erkannt fühlt, die Partei, deren Lebensgefühl der eigenen Realität am nächsten kommt. Die CDU hat unter Angela Merkel in der letzten Legislaturperiode die Grundfundamente des CDU-Selbstverständnisses eingerissen und ideologisch aufgeladene Eckpunkte des Konservatismus in Schmusethemen abgerundet: Atompolitik jetzt Atomausstieg, Wehrpflicht aus innenpolitischen Gründen abgeschafft, sowas ähnliches wie ein Mindestlohn beschlossen. Übrig geblieben ist die wichtigste aller konservativen Prämissen: Erfolg haben. Damit ist die einzige wahrnehmbare Regierungspartei dem Lebensgefühl der Mehrheit der deutschen Wahlbürger sehr nahe gekommen. Dies schafft sie bekennend durch (Zitat) „eine Fahrt auf Sicht“. D.h. es gibt weder einen Plan oder eine Strategie, noch Haltung oder Überzeugung, sondern nur taktische Reaktion. Und wenn wir ehrlich sind ist das genau so, wie wir uns alle durchs Leben mogeln.
Es ist darum konsequent im Wahlkampf einfach zu sagen: „Sie kennen mich“ – es hat doch eigentlich ganz gut geklappt, fahren wir doch einfach weiter auf Sicht. Handeln, Gefühl und Wahlkampf der CDU passen zusammen, weil die Kampagne vollkommen überzeugungsfrei ist. Wähler werden als Angela Merkel Wahlverein zusammengefasst. Wer ihr vertraut, wählt CDU. Ich kann darum diesmal zum ersten Mal CDU Wähler verstehen.
Grün ist kein Programm, sondern ein Gefühl
Ganz anders machen es die Grünen. In der Opposition zu klaren Überzeugung gelangt, stellen Sie nun ein tatsächlich außergewöhnlich durchdachtes und umfassendes Programm in den Mittelpunkt des Wahlkampfes. Diese Partei glaubt Antworten auf die zentralen Fragen der Gesellschaft und der Zukunft zu haben. Außerdem fühlen sie sich schuldig, mit der Unterstützung der Schröderschen Agenda 2010, einige soziale Ungerechtigkeiten befördert zu haben. Sie fahren darum einen intellektuellen Wahlkampf, der vom Wollen geprägt ist, und natürlich entspricht dieser Ansatz kaum dem Lebensgefühl der grünen Klientel. Grüne Wähler sind zwar besser situiert und besser ausgebildet als der Durchschnitt, aber dennoch erreichen die kleinteiligen grünen Wahlkampfthemen sie nicht. Auch Grünen-Wählern geht es eher gut und sie wollen Deutschland und ihre Lebensrealität nicht schlecht-geredet haben. Natürlich ist es richtig, dass es im Arbeitsmarkt große Ungerechtigkeiten gibt, aber näher am Lebensgefühl der Mehrheit wäre es, zu sagen, „wir können es uns jetzt leisten“, diese Ungerechtigkeiten abzumildern. Wir können uns auch die konsequente Umsetzung der Energiewende leisten, wir können es uns leisten noch viel mehr Flüchtlinge aufzunehmen usw. Ich wünsche mir von den Grünen eine ganz andere Grundhaltung: Jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem die Agendapolitik so viele Menschen in den Arbeitsmarkt gebracht hat, wie noch nie, und Merkles Fahrt auf Sicht durch die Eurokrise sich für Deutschland auszahlt, können wir unser Leben und Handeln ökologisieren. Ich will keine konkreten Prozentzahlen und ausgeklügelte Steuersysteme von den Grünen hören. Als kleine Partei können sie das doch sowieso nie 1 zu 1 umsetzen. Ich will öko-soziale Haltung und grünes Gefühl spüren.
Die FDP ist schlicht indiskutabel
Eine Partei, die sich nach 4 Jahren Regierungsbeteiligung darauf reduziert, Steigbügelhalterin der amtieren Bundeskanzlerin sein zu wollen, ist nicht wählbar. Sich selbst in der Endphase dieses Wahlkampfes zur rein funktionellen Machterhaltungspartei heruntergeschraubt, hat sie jetzt gar kein inhaltliches Thema mehr. So kennen wir sie. Konsequent FDP-typisch. So verhält sich eben eine Lobbyismus-Partei: extrem durchlässig macht sie, was andere ihr sagen. Darum glaubt man auch nicht mehr, dass die FDP tatsächlich freiheitliche Bürgerrechte vertreten könnte. Diese Partei muss endgültig beerdigt werden, damit ein neuer Liberalismus in neuem Gewand auferstehen kann. Die ansonsten chaotischen Piraten zeigen in diesem Feld, wie es gehen kann.
Wie soll man nun zur SPD stehen?
Steinbrück war echt knackig in diesem Wahlkampf. Mit Stinkefinger und Klartext hat er jedenfalls eine Zuspitzung in die Themen gebracht, die im Angesicht der müden Gesichtszüge der Kanzlerin recht belebend wirkte. Schade nur, dass die SPD nicht voll auf den Protz-Peer gesetzt hat und sich verunsichern ließ von den sogenannten Fettnäpfchen. Ich fand seine Auslassungen zu Pinot Grigio und den italienischen Clowns sehr realitätsnah. Da fühlte ich wie er. Programmatisch haben die Sozen mit Sigmar Gabriel an der Spitze in den Oppositionsjahren auf das Volk gehört, nachgedacht und ihre Ideen so deutlich korrigiert formuliert, dass die CDU einfach die Hälfte davon abschreiben konnte. Ich sehe die SPD tatsächlich als bessere CDU.
Wie wählen angesichts der Koalitionswahrscheinlichkeiten?
Mach ich doch mal Kunstbetrachtung und schaue auf das Bild, wie es nun mal ist: Für rot/grün reicht es nicht. Die nervige FDP wird reinkommen – die Lobbygruppen sind stark genug, um sie über die 5%-Hürde zu heben. Nicht so die AfP – es gibt nicht genug revisionistische Rentner. Auch die Piraten sind wieder weg vom Fenster. Frau Merkel bekommt einen dicken Prozentanteil, der für die CDU gewertet wird. Grün schwächelt mit knapp 10% und so könnte es rechnerisch allenfalls für schwarz/grün reichen. Aber so weit sind die beiden Parteien noch nicht. Steinbrück wird höchst zufrieden baldmöglichst die Spitzenposition der SPD verlassen. Seine Partei will trotzdem nicht in die große Koalition. Sie fürchtet nichts mehr, als dass bei den nächsten Wahlen noch mehr Überzeugungswähler davonlaufen. Die Linke kommt ins Parlament und bleibt Außenseiterin ohne Koalitionsoption. Und die Deutschen wollen das scheinbar unmögliche: Kanzlerin Merkel in einer große Koalition.
In dieser Lage hat Die Zeit schön vier Faustregeln für taktische Wähler herausgearbeitet:
Wer die große Koalition will, muss SPD wählen.
Wer schwarz/grün will, muss Grün wählen.
Wer schwarz/gelb will, muss FDP wählen – bitte nicht!
Wem alles egal ist Hauptsache Merkel, wählt CDU.
Wer eine klare innere Überzeugung zu einer Partei hat, sollte sich aber von solchen Überlegungen nicht leiten lassen.