Das Zentrum für Politische Schönheit inszeniert gesellschaftliche Skandale als herausfordernde Show-Events, die bewusst polarisierend und umstritten sind. Wie immer man das moralisch finden mag, die Aktionen bringen auf jeden Fall brennende Themen in den Diskurs. Als neuestes „Projekt“ haben sie sich einen Missstand vorgenommen, bei dem Recht nicht im Sinne der Gleichheit aller Menschen gilt, sondern explizit zur Unterscheidung von Menschen in welche mit und andere ohne Rechte. Es geht darum, warum es Menschen, die laut Flüchtlingskonvention eindeutig als Kriegsflüchtlinge bei uns und in allen anderen EU Ländern Asyl bekommen müssen, nicht direkt nach Deutschland (oder in ein anderes EU-Land) eingeflogen werden können. Warum können solche Flüchtlinge nicht einfach in der Izmir einen regulären Flug nach Stuttgart buchen und herfliegen – zu ganz normalen Preisen, ohne Schlepper bezahlen zu müssen, und ohne ihr Leben auf einer ungewissen Flucht erneut zu riskieren?
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Analogie zum politischen Handeln
Bei der Aktion „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ wird daraus eine Art Mitmach-Reality-Container-Show, bei der die vermeintlichen Protagonisten wie Stars aufgebaut werden, in deren Leben man als Mitspielende hineinschlüpfen kann. Auf allen Ebenen können Menschen Teil der Aktion werden:
Ganz oben als Imperator – „Jetzt können Sie Thomas de Maizière sein“ – so werden Unterstützende angeworben, die in seine Rolle schlüpfen sollen, um 100 Flüchtende auszuwählen, die eingeflogen werden könnten. Die Anzahl begründet sich darin, dass der Innenminister im April dieses Jahres Deutschland nicht in der Lage sah, mehr als 100 Menschen pro Monat aufzunehmen.
Ganz unten als Schlachtvieh – „Wir suchen Flüchtlinge, die […] bereit sind, sich öffentlich fressen zu lassen“ – so werden Menschen mit „Flüchtlingshintergrund“ gesucht, die „ihr Leben für eine größere Sache opfern“. In Berlin ist zu diesem Zweck eine Arena aufgebaut, in der vier libysche Tiger darauf warten mit Menschenfleisch gefüttert zu werden. Die Tiere sollen „Gastgeschenke des großmütigen türkischen Sultans“ sein, die dieser „zur Feier des EU-Türkei-Deals“ nach Berlin bringen ließ.
Der Bundespräsident Joachim Gauck wird als der mögliche Retter aufgebaut, der Messias-gleich gemeinsam mit dem Papst die unmenschliche Abweisepraxis mit einer einzigen Rede am 24. Juni 2016 (siehe Tagesordnung der 180. Sitzung des Deutschen Bundestages – letzter Punkt) beenden könnte. „Wird er die Flüchtlinge vor den Tigern retten?“ Für das erwartete Ausbleiben der Rettungstat, ist nun alles hergerichtet. Das Blut wird fließen.
Der Aufbau von „Not und Spiele“ ist als Analogie zum politischen Handeln gedacht, das von den Medien geradezu lüstern begleitet wird, doch die Vergleiche hinken gewaltig. Natürlich ist der EU-Türkei-Deal ein Skandal, denn spätestens die praktische Realität der Verfahren zeigt deutlich auf, dass der Deal kein Pakt für Menschenrechte ist, sondern ein Pakt zur Entrechtung von Menschen. Das Ziel der Politiker*innen, die diesen Deal ausgehandelt haben, ist es, Menschen aus der EU rauszuhalten und diese aktive Ausgrenzung den Bürger*innen im eigenen Land als Erfolg „gegen den Flüchtlingsstrom“ zu verkaufen. Besonders die konservativen Parteien (in Deutschland) haben fürchterliche Angst, dass „das Volk“ (tatsächlich ist es nur eine Minderheit von nationalistisch eingestellten Dummköpfen) sich gegen die Regierung erheben würde. Der Deal ist ein Versuch, dem dunkel-deutschen „Merkel muss weg“-Geschrei ein „wir haben verstanden“-Slogan entgegenzustellen und das ist zweifellos ein zutiefst unmenschlicher – vielleicht sogar unpolitischer – Schachzug, der sicher nicht zum Gewinn der Partie führt. Ja, auch durch den EU-Türkei-Deal wurde alles so hergerichtet, dass jetzt wieder das Blut fließen wird.
Eventisierung menschenverachtender Politik
Dennoch: Bedarf es wirklich dieser Inszenierung um das Thema „medial heiß“ zu machen? Werden mit der Überhöhung der Politik in die Sphäre des reinen Show-Biz nicht Rollen-Stereotypen weiter zementiert und wird durch den offensichtlichen Zynismus der Aktion der politisch überformte Zynismus nicht eher verdeckt als entblößt? Die Aktion ist in ihrer krassen Erscheinungsform so widerlich und abstoßend, dass viele Menschen sich eher vor dem Politischen weiter abwenden, statt sich mit der Thematik zu befassen. Niemand will, dass Tiger eingesperrt sind. Keine*r will einzelne Menschen auf einer Kandidatenliste bevorzugen und andere abweisen. Wer will dabei zusehen, wie sich Menschen opfern und gefressen werden? Theaterpublikum vielleicht?
Ich denke, die Aktion soll den Menschen zeigen, dass Politik und Medien symbolischen Aktivismus vortäuschen, doch ich werde ich das Gefühl nicht los, dass die Aktion selbst eine Vortäuschung von politischem Aktivismus ist. Die Realpolitik bleibt „leider“ nicht im Symbolischen, die Aktion aber ganz bestimmt.
Die rechtliche Grundlage ist Unrecht
Ich habe den Eindruck, auch die Macher*innen des Polit-Event-Designs sind von ihrer Inszenierung selbst nicht ganz überzeugt, denn sie ziehen in ihre Aktion dann doch noch eine Ebene ein, die ganz ohne Überhöhung auskommt und genau hier treffen sie auch das Niveau der sachlichen Auseinandersetzung: Die rechtliche Grundlage, die verhindert, dass Flüchtlinge mit einem normalen Linienflug nach Europa kommen können, ist der eigentliche Skandal aber der Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Deal ist leider sehr konstruiert.
Der Passus im deutschen „Aufenthaltsgesetz“ §63 ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie, die Europa-weit die Flüchtlingsentrechtung in geltendes Recht verwandelt. Die Staaten verschieben mit dieser Richtlinie (2001/51/EU) die Verantwortung von den Regierungen auf die Fluggesellschaften. Faktisch wird die Einzelfallprüfung, ob es sich bei den Einreisenden um geschützte Flüchtlinge handelt oder eventuell doch um Menschen, die versuchen illegal einzureisen, auf die Fluggesellschaft abgewälzt. Wenn eine Fluggesellschaft eine Person nach Europa bringt, bei der sich später herausstellt, dass sie keinen Anspruch auf Asyl hatte (durch Ablehnung des Antrags), muss sie „die entstandenen Kosten tragen“. Die Fluggesellschaft muss für alles aufkommen – Unterkunft, Verwaltung, Gerichts und Reisekosten.
Mit der dargestellten Regelung im deutschen Aufenthaltsgesetz werden die Fluggesellschaften zusätzlich bestraft, in dem es ein „Zwangsgeld für die Beförderungsunternehmen“ vorsieht. Durchschnittlich ca. 2000 Euro müssen diese bezahlen, wenn der Asylantrag einer zuvor transportieren Person abgelehnt wird. In der Folge nehmen alle Fluggesellschaften keine Flüchtlinge mit an Board. Der Berliner Ratschlag für Demokratie hat zur Aufklärung über das Thema „Flugverbot für Flüchtlinge“ von studio adhoc ein Video produzieren lassen.
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Protest könnte auch Lösungen aufzeigen
Will die EU ein Verbund von Gesellschaften sein, die sich auf die ratifizierten Werte der Menschlichkeit gründet, die z.B. in der Flüchtlingskonvention festgehalten sind, dann muss die EU-Richtlinie überarbeitet werden. Wir alle brauchen eine praktische Regelung, damit Menschen sicher und direkt aus den Krisengebieten, oder aus unmittelbar angrenzenden Regionen, ausgeflogen werden können. Die Einreiseländer müssen in Eilverfahren vor dem Transport und Vorort die Beförderung der Menschen als Flüchtlingsbeförderung einstufen, so dass nicht länger den Fluggesellschaften das finanzielle Risiko aufgebürdet wird. Es geht tatsächlich nur um einen Stempel im Pass, der den Flüchtenden den Weg eröffnen würde.
Die Kosten, die Flüchtende derzeit aufbringen müssen und das Risiko, dem sie sich aussetzen müssen, um sich in Sicherheit zu bringen, stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten, die eine menschenwürdige Lösung verursachen würde. Außerdem kann mit einer Neuregelung dem illegalen Geschäft der Schlepperorganisationen endlich nachhaltig etwas entgegengesetzt werden. Dem Geschäftsmodell wäre der Boden entzogen und den Menschen auf der Flucht blieben viele zusätzliche Traumata und Verluste erspart.
Zugegeben: Dieser eher juristisch begründete Protest macht lange nicht so viel Wirbel, wie vier Tiger in einem Käfig in Berlin Mitte, denen Flüchtlinge zum Fraß vorgeworfen werden sollen. Allerdings bezweifle ich stark, dass der Wind, der hier gesät wird, eine tragfähige Lösung zum Fliegen bringt. Ich hoffe nur es verunsachlicht den Diskurs nicht noch unnötig, indem es den Bundespräsidenten in eine Lage zu bringen versucht, die diesem nicht zusteht. Die Politik braucht keinen Erlöser im Gauckschen Format, sondern die existierende Mehrheit in der Gesellschaft, die menschliche und faire Verfahren wünscht, muss erfahren mit welchen Tricks bei uns Recht verbogen wird, um Flüchtende zu entrechten.
Termine
6.6.-28.6.2016, täglich. Die Arena ist jeweils von 10h – 22h geöffnet und es gibt ein umfassendes Programm.
Es gibt mehrere Web-Cams über YouTube.
18.45 Uhr: Not und Spiele – Die Show (Arena)
19.30 Uhr: Zentrums-Salon: Intellektuelle, Politiker, Künstler und Journalisten im Gespräch zur Aktion (Garten Maxim Gorki Theater). Mehr auf www.gorki.de