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4. Oktober 2015 09:56:57

…. immer noch!! : 50 Jahre „Satisfaction“

Anfang Mai 1965 hatte der 21jährige Musiker Keith Richards, Gitarrist bei der englischen Rhythm and Blues-Kapelle The Rolling Stones, während der zweiten Amerikatournee des Quintetts die Idee zu einem neuen Song, dessen einleitende Akkorde und die erste Textzeile er am nächsten Tag seinem Bandkollegen Mick Jagger vorspielte. Jagger schrieb den Song zu Ende, ein paar Tage später nahm man eine akustische Version in Chicago auf, die endgültige mit elektrisch verstärkter Gitarre dann am 12. Mai in Los Angeles. Die Plattenfirma warf den Song noch im selben Monat als Single auf den Markt, ohne dass man Richards oder Jagger dazu gefragt hätte. Das Lied wurde zum Hit, zur Hymne, zur musikalischen Ikone.

<br />The Rolling Stones 1965 in Oslo

The Rolling Stones 1965

Es war kohlschwarz: Eine rasiermesserscharfe Gitarre wiederholt ein simples Riff wieder und wieder, das Schlagzeug fällt ein und pumpt zusammen mit dem Bass den Rhythmus, bis der Sänger schließlich ohne um den heißen Brei herumzureden mit der Tür ins Haus fällt: „I can´t get no Satisfaction“. Das war eindeutig nicht mehr die musikalische Welt von Doris Day und auch nicht von Frank Sinatra, das war dieses rhythmusorientierte Zeugs aus den Schwarzenvierteln, das seit ein paar Jahren Furore machte. Die amerikanischen Plattenbosse und die Radioleute mochten es, wenn weiße Jungs schwarze Musik machten – das hielt die Schwarzen auf Distanz und füllte trotzdem mit ihrer Musik die Kassen. Elvis hatte es vorbildlich gemacht, Buddy Holly, Bill Haley, dann die englischen Jungs, die Beatles, die Kinks gerade mit „You Really Got Me“ und jetzt eben diese Rolling Stones. Der Civil Rights Act war erst ein paar Monate alt und heftig umstritten, Martin Luther King hatte einen Traum, klar, und in Selma, Alabama marschierten sie seit März diesen Jahres für ihr Wahlrecht, aber noch passten schwarze Hautfarbe und grüne Dollars nicht zusammen – allerdings ließ sich schwarze Musik sehr gut verkaufen, dieses frivole Gemisch aus Rhythmus, elektrisch verstärkten Instrumenten und doppeldeutigen Texten, das die Körper derer, die seit einiger Zeit Teenager hießen und einen sehr interessanten neuen Markt bildeten, in Schwung brachte, und so setzte man auf den Rhythm and Blues der weißen Jungs.
Der Song kletterte einen Monat nach seiner Veröffentlichung auf die Nummer 1 der US-amerikanischen Hitparaden, kurz darauf auch in England. In Deutschland dauerte es bis zum 15. Oktober, bis die Rolling Stones den knuddeligen italienischen Trompeter Nini Rosso mit „Il Silenzio“, seiner schwülstigen Version des Zapfenstreichs, von der Spitze der Hitparade verdrängten. Dort hielten sie sich sechs Wochen, bis sie dem ersten erfolgreichen Versuch weichen mussten, die neue sogenannte Beatmusik und den guten alten Schlager zu verbinden: Drafi Deutscher und seinem (grammatikalisch wackligen) „Marmor, Stein und Eisen bricht“.

Aufzuhalten war der Aufstieg von „(I can´t get no) Satisfaction“ zur Begleithymne des ersten großen kulturellen Umbruchs seit dem Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr, eines Umbruchs, der eine völlig neue Perspektive auf den Wertekanon der Gesellschaft, auf das Verhältnis der Geschlechter, auf Erziehung lieferte und von einem neuen Sound begleitet wurde – wie überhaupt die Sounds von nun an eine bedeutende Rolle spielen sollten. Nahezu ein halbes Jahrhundert später nannte es der 65jährige Keith Richards in seiner Autobiographie „den Soundtrack zur rumorenden Rebellion“.
Auch in Deutschland rumorte sie seit einigen Jahren. Ihre Protagonisten hatten als Kinder den Weltkrieg überlebt, waren als Fünf-, Zehn- oder Fünfzehnjährige aus den Ruinen gekrochen und bekamen nun Anfang der 1960er Jahre immer noch keine Antworten auf jene Fragen, die sich im Laufe der Zeit gestellt hatten, Nationalsozialismus, Holocaust und Weltkrieg betrafen und in den meisten Fällen zu einer einzigen zusammenschnurrten: Du auch? Und die Zeit war reif: nach langen Verzögerungen wurden 1963 die Auschwitzprozesse eröffnet, Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter über das Schweigen des Papstes zum Holocaust wurde im gleichen Jahr zum Skandal und machte weltweit Furore, die sogenannte „Spiegel-Affäre“ um einen angeblichen Landesverrat des Nachrichtenmagazins brachte den damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauss zu Fall und stärkte der kritischen Presse den Rücken.

Es hatte seit dem Ende des Krieges immer ein Potential der Unruhe gegeben, eine latente Nervosität, sichtbar als Warnungen und Proteste gegen Atomwaffen, deutsche Wiederbewaffnung und plumpen Antikommunismus, die aus den intellektuellen und künstlerischen Kreisen kamen, von Leuten wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass oder Theodor W. Adorno. Jetzt, am Ende der grauen Adenauer-Ära, erfasste dieses Protestpotential die nächste Generation und verband sich mit einer kulturellen Neuorientierung. Noch konnte die Missachtung des Rasen-betreten-verboten-Schildes zu ernsthaften Schwierigkeiten führen; noch galten Ohrfeige und Rohrstock als probate Instrumente der Erziehung, und die Eröffnung eines eigenen Bankkonto war Frauen ohne Zustimmung des Ehemannes erst seit wenigen Jahren, seit 1962, möglich. Allerdings wurde diese Gemengelage aus autoritären Strukturen, hierarchischem Denken und brütendem Schweigen in der Bonner Republik nun immer heftiger in Frage gestellt.

<br /> Promo 1965

Promo 1965

Im anderen Teil Deutschlands, in der DDR, die sich gerade eben eingemauert hatte, stieß diese neue Generation und ihre Kultur sofort auf scharfen Gegenwind, der seinen Höhepunkt bei der berüchtigten 11. Tagung des ZK der SED, dem sogenannten Kahlschlag-Plenum im Dezember 1965 erreichte. Hier machte die Staatsführung deutlich, dass es „unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte“ gab und die Partei diese zementiert sehen wollte. Ein Nachwuchsmann der SED, ein gewisser Erich Honecker, machte klar, dass bestimmte Tendenzen der westlichen Kultur mit dem Sozialismus unvereinbar seien und das „Rowdytum“ der Musikszene nicht akzeptiert werden würde. Neue westliche Musik, die Beatles, die Rolling Stones und ihr „Satisfaction“ hatten in diesem Klima keine Chance. Schon wenige Jahre später mündete der Scherz eines West-Berliner Radiomoderators in harte Strafen für eine Handvoll Ostberliner Stones-Fan: Er kündigte in seiner Sendung ein Konzert der Band auf dem Dach des direkt an der Mauer gelegenen Springerhochhauses anlässlich des 20. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1969 an. Im Lauf des Tages versammelten sich hunderte von Fans auf der anderen Mauerseite, es kam zu Auseinandersetzungen mit Polizei und Stasi, einige erhielten im Anschluss Haftstrafen bis zu zwei Jahren. Die Rolling Stones spielten im Gegensatz etwa zu Bob Dylan oder Bruce Springsteen tatsächlich nie in der DDR, sieht man von zwei Konzerten im August 1990 in der Radrennbahn Berlin-Weißensee ab – da allerdings war die Mauer bereits acht Monate vorher gefallen. Natürlich war „Satisfaction“ im Programm.

<br />Keith Richards, Mai 1965 auf der 2. US-Tourneee

Keith Richards, Mai 1965 auf der 2. US-Tourneee. Pic: Kevin Delaney

In der Bundesrepublik sollten noch einige Jahre vergehen, bis sich dieser Umschwung in Demonstrationen und schließlich auch auf parlamentarischer Ebene niederschlug, ein neuer Ton in der Republik des Heimatfilms und der Blasmusik war jedoch unüberhörbar. Der alte Ton dudelte als Swingjazz unter dem Motto ‚Leicht und beschwingt‘ seit vielen Jahren, von Erwin Lehns Südfunk-Tanzorchester oder Kurt Edelhagens Big Band tausendfach variiert, durch den Hörfunk-Alltag, und der Erfolgszug des deutschen Schlagers war ungebrochen. Zugegeben, es hatte seit Mitte der 50er Jahre Misstöne gegeben, die aus Amerika kamen, Bill Haley und der hüftschwingende Elvis Presley, Rock’n’Roll hieß es und wurde von den sogenannten „Halbstarken“ gehört – die Jugend stieß sich die Hörner ab, das würde wieder vergehen, und danach konnte man weitermachen wie bisher. Irritierend war nur, dass jetzt auch etwas Ähnliches aus London herüberschwappte, man nannte es Beat, und den Jungs, die es machten, wuchsen die Haare über die Ohren. Noch versuchte der deutsche Markt, standhaft zu bleiben, wenn es um englische Texte ging, und das Führungsquartett der Richtung, die Beatles, mussten zwei ihrer Songs auch in deutschsprachigen Versionen aufnehmen, weil man davon ausging, sie nur so erfolgreich in der Hitparade platzieren zu können. So musste John Lennon sein ganzes Deutsch aus den Hamburger Beatles-Tagen der Jahre 1960 und `61 herauskramen, um aus „I Wanna Hold Your Hand“ im Januar 1964 „Komm gib mir deine Hand“ zu machen. Allerdings gab die Plattenfirma diese Praxis sehr schnell wieder auf – die Originalversionen erwiesen sich als sehr viel erfolgreicher. Der Song auf der Rückseite der Beatles-Single, „Sie liebt dich“, enthielt das berühmte „Yeah, yeah, yeah“, das ein paar Jahre für den Spott über das Textniveau der Beat-Texte herhalten musste. Das allerdings waren bereits Rückzugsgefechte der älteren Generation. Die neue Bewegung mit ihrer neuen Musik und einem verdächtigen Hang zu ungehemmter Lebensfreude war nicht mehr aufzuhalten.

Diese Lebensfreude hatte viel zu tun mit einem neuen Verhältnis der Geschlechter zueinander und dieses wiederum mit einem Medikament, das im Juni 1961 in Deutschland auf den Markt gekommen war, einem neuen Verhütungsmittel in Form einer Tablette, der sogenannten Antibabypille. Verhütung war jetzt so simpel wie Vorbeugung gegen Schnupfen, und die Garantie auf Sicherheit war nahezu vollständig. Zwar wurde damit die Verantwortung den Frauen aufgebürdet, andererseits aber trug diese kleine Pille sehr viel zur feministischen Selbstbestimmung bei. Aus den Beziehungen wich die Angst, aus dem Geschlechtsverkehr wurde Sex, und mehr noch als die Beatles, die es scheinbar beim Händchenhalten beließen, standen die krakeligen Rolling Stones für diesen neuen Hedonismus mit seiner Forderung nach uneingeschränktem Spaß und schneller Befriedung. Die Hymne dazu war ihr Song “(I can´t get no) Satisfaction”.

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Das jedoch war allerhöchstens die halbe Wahrheit. Mick Jaggers Klage über ausbleibende Befriedigung hatte nicht nur mit Sex und Spaß zu tun, sondern war in erster Linie ein ironischer Schlenker gegen die massive Konsumorientierung der amerikanischen Gesellschaft, die sich in permanenten Werbeeinblendungen in Radio und Fernsehen niederschlug, wo dir einer erzählt, dass dein Hemd noch weißer sein kann und welche Zigaretten man zu rauchen hat. Jagger und Keith Richards waren bei ihrer ersten Amerikatournee 1965 immer wieder von der Durchkommerzialisierung des amerikanischen Alltags überrascht worden: Werbetafeln an jedem Straßenrand, TV- und Kino-Spotts mit aggressiver Werbung. Das heimatliche England hingegen hatte sich immer noch nicht vollständig von den Spätfolgen der Nachkriegszeit erholt, vor wenigen Jahren war Benzin noch rationiert gewesen, und die gute alte BBC sorgte dafür, dass man nicht andauernd von Werbeeinblendungen belästigt wurde. Privatfernsehen gab es zwar bereits seit 1954 – allerdings nur einen einzigen Kanal. So schwer vorstellbar es auch sein mag, aber Mick Jagger, der spätere Multimillionär und gewiefte Geschäftsmann, war einer der frühesten Konsumkritiker.
Bei aller Empörung über zu viel Werbegedöns musste man sich aber den Spaß nicht verderben lassen, und Jagger machte in der letzten Strophe dann doch noch klar, dass es, wenn alles erledigt ist, um das eine geht – ärgerlich, wenn die Umworbene sich dann auf einem ‚Losing streak‘ befindet und man auf die nächste Woche vertröstet wird. Wofür die Metapher auch immer stand, die bloße Möglichkeit einer Anspielung auf die Menstruation brachte für Moralapostel, denen bereits der Titel ein Dorn im Auge war, das Fass zum Überlaufen: Radiostationen weigerten sich, den Song zu spielen, Fernsehsendungen zensierten ihn bei Auftritten der Rolling Stones. Nichts konnte jedoch dem Aufstieg von „(I can‘ t get no) Satisfaction“ zu einem der größten Hits aller Zeiten etwas anhaben.

<br />Otis Redding 1965

Otis Redding 1965

Dass die Rolling Stones im Sommer 1965 den schwarzen Nagel auf den weißen Kopf getroffen hatten, zeigte sich bereits wenige Wochen nach Veröffentlichung des Songs, als ein schwarzer Sänger namens Otis Redding seine eigene Version von „Satisfaction“ aufnahm, jetzt eine schweißtreibende Soulnummer – die jedoch bezeichnenderweise in den 30er-Rängen der Charts hängenblieb. Die Studiomusiker um Booker T. und Isaac Hayes hatten dem Stück eine neue rhythmische Dimension verpasst und ein treibendes Tanzstück daraus gemacht. Im Juni 1967, beim legendären Monterey-Festival, zeigte Otis Redding den weißen Jungs dann, wie man den Song fliegen lässt, Staccatogesang und Trippeltänzchen inklusive. Er starb ein halbes Jahr später bei einem Flugzeugabsturz und erlebte so nicht mehr, wie Jagger seine Lektion gelernt hatte: Als die Rolling Stones nach lustlosen musikalischen Experimenten mit Psychedelischem, indischen Ragas, elektronischen Spielereien, langen Improvisationen und nach zweieinhalb Jahren Konzertabstinenz Ende 1969 auf der Bühne wieder an ihre Rhythm and Blues-Anfänge anknüpften, gab Mick Jagger bei „Satisfaction“ den weißen Otis Redding. Und so sollte es die nächsten Jahrzehnte bleiben: bei Tausenden von Konzerten war „Satisfaction“ immer auf der Setliste, meistens als Zugabe. Und erst 2013 – ein Vergleich auf Youtube war inzwischen mit zwei Klicks zu bewerkstelligen – machte Jagger beim Glastonbury-Festival in England eine Verbeugung vor dem Vorbild Otis Redding, inklusive Trippeltänzchen.

Die amerikanische Band Devo knüpfte 1978 bei ihrer New Wave-Version konsequenterweise gleich an Redding an. Da hatte die rebellische Generation allerdings bereits Jobs und Kinder, war kurz davor, die Ernte für ihre Bemühungen einzufahren und die Macht im Land zu übernehmen. Dabei übersahen sie, dass sie rechts von einer Entwicklung überholt wurden, die ihre eigenen Kinder später Neoliberalismus und Globalisierung nennen sollten. Außerdem waren die warmen und die kalten Krieger noch lange nicht abgetreten, sie waren nur älter geworden, schleppten sich jedoch klaglos zur Wahlurne. Ihre Rache für den Lärm, den ramponierten Rasen und für „Satisfaction“ hieß Helmut Kohl. Zur Belohnung gab´s dafür Privatfernsehen, Rentengarantie und Champions League.

Die Enkel bestaunen derweil auf den Internet-Kanälen die bunten Opas um Mick Jagger und Keith Richards, die sich mit erstaunlicher Zählebigkeit Jahr für Jahr erneut auf die Bühne hieven, eine alte Version von R&B anstimmen und es tatsächlich schaffen, immer mal wieder eines von den jungen Idolen, Christina Aguilera, Justin Timberlake oder Norah Jones dazu zu kriegen, mit ihnen einen ihrer Grölhits zu singen, „Brown Sugar“ oder „Honky Tonk Women“ oder dieses ewige „Satisfaction“. Der eine hat, wie man so hört, in großen Mengen und über viele Jahre alle Drogen der Welt probiert und lebt immer noch, Chapeau! Zusammen haben sie Millionen und Abermillionen verdient, weil Opa und Oma vor 50 Jahren auf ihrem kleinen Bakelitradio verzweifelt irgendeinen Sender gesucht haben, um diesen einen Song zu hören, ihn schließlich verrauscht bei Radio Luxemburg fanden und dafür in ewiger Dankbarkeit alle Platten der Alten gekauft haben und immer noch zu ihren Konzerten laufen.

 

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Alltägliches

 

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