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15. September 2013 10:30:21

… leselustig: Salman Rushdie beim 13. internationalen literaturfestival berlin

Rezensiert man das jüngste Buch von Salman Rushdie als Literatur? Oder als Dokumentation von über Jahre geführten Tagebuchnotizen, Erinnerungen, Groll, Ängsten, Wut, Verzweiflung des Mannes, der die Satanischen Verse schrieb und dafür von einem längst verstorbenen Ayatollah mit einer Fatwa belegt wurde? Schwierige Frage. Denn ist es natürlich verständlich, dass ein junger Schriftsteller, dessen möglicherweise grandiose Karriere mit all dem Glamour, den eine solche mit sich bringt – Einladungen, Preise, Starrummel, Festivals, Geld – massiv ausgebremst wird, verbittert erinnert, wer in all den Jahren sein Feind, und wer sein Freund war. Und dabei hier und da Kritik und Unentschlossenheit – oder auch die Angst – anderer nicht souverän ignoriert, sondern offenbar akribisch notiert, um sie eines Tages in eine Autobiografie einfließen zu lassen, die aber nicht als „Salman Rushdies Memoiren“ erscheint, sondern mit dem fiktionalisierten Titel „Joseph Anton“. Joseph Anton war der Name, den Rushdie wählte, um für seine Personenschützer und andere ansprechbar zu sein in der Zeit, in der er ohne Bodyguards keinen Schritt machen konnte. Konsequenterweise erzählt er nun 720 Seiten lang die Geschichte des Joseph Anton.

Ich muss zugeben, dass mich die Lektüre enttäuschte und ich das Buch über weite Strecken eher langweilig fand. Spannend ist in der Tat die Geschichte seiner Familie, die schwierige Beziehung zum Vater und auch zur Mutter. Öde allerdings sind endloses Names-Dropping – wer wo bei welchem Empfang war, wer welchen Preis bekam oder hätte bekommen oder auch nicht bekommen sollen. Und geradezu unangenehm die zahllosen Einsichten in Rushdies diverse Ehen und die Abrechnung mit all seinen Ehefrauen. Man müsste schon begeisterte Leserin von Bild der Frau oder ähnlicher Blättchen sein, um sich daran ergötzen zu können.

Nach all den schönen Erzählungen und Romanen, die Rushdie in diesen vielen Jahren geschrieben hat – und ich habe fast alle seine Bücher mit großer Begeisterung gelesen, die Mitternachtskinder, Harun und das Meer der Geschichten, Der Boden unter ihren Füßen, Des Mauren letzter Seufzer, Wut, Shalimar der Narr … – erscheint Joseph Anton mehr Pamphlet denn Kunst zu sein. Wie gesagt: Es ist verständlich, dass jemand ein solches Buch schreibt, und doch ist es bedauerlich. Andererseits hat Rushdies schonungslose Offenheit in einer Zeit, in der wir permanent von Blendern umgeben sind, und in der viele erst checken, was man von ihnen hören will, bevor sie etwas sagen, auch etwas Faszinierendes. Überdies wird uns die Absurdität der Geschichte um die Satanischen Verse selbst noch einmal brutal in Erinnerung gerufen.

Insofern ist Rushdies „Autobiografie“ auch ein politisches Signal und ein Aufruf an alle – Leser wie Schreibende – sich nicht einschüchtern zu lassen. Manchmal muss man sich vielleicht im Kleiderschrank verstecken. Wichtig ist aber, dass man auch wieder herauskommt. Dass Salman Rushdie nie aufgehört hat zu schreiben ist ihm unbedingt hoch anzurechnen.

Salman Rushdie, „Joseph Anton – Die Autobiografie in der Übersetzung von Bernhard Robben ist 2012 im C. Bertelsmann Verlag erschienen (720 S., 24,99 Euro). Der Autor ist Gast des internationalen literaturfestivals berlin 2013. Ein Gespräch mit Rushdie und seinem deutschen Übersetzer Bernhard Robben gibt es heute am 15.9. um 11.00 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.

 

 

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