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Monatsarchiv für Februar 2011

12. Februar 2011 00:37:35

… Berlinale Panoramablick 2: Qualunquemente

Alles ist möglich in Berlusconi-Land. Und so erscheint noch die absurdeste Situation in der kalabrischen Kleinstadt Marina di Sopra denkbar. Nicht zuletzt ein – nun ja, manipulierter – Wahlsieg des neuen Bürgermeisters Cetto La Qualunque (Antonio Albanese), kaum dass er nach vier Jahren „Auszeit“ in Brasilien mit einer schönen Frau, deren Namen er sich nicht merken kann und die er deshalb schlicht „Wiebitte“ (Veronica da Silva) nennt, zu seiner Frau Carmen (Lorenza Indovina) und seinem naiven Sohn Melo (Davide Giordano) zurückkehrt. Denn Gefahr droht von Giovanni de Santis (Salvatore Cantalupo), ein Bürgerrechtsaktivist, der ebenfalls Bürgermeister werden will. Mit ihm sollen Ehrlichkeit und Ordnung in die Stadt einziehen, die Bürger – und zwar alle – sollen Steuern zahlen. Schluss mit Korruption und laissez-faire. Cettos Freunde wollen sich damit nicht abfinden und heuern den „Guru“ Jerry (Sergio Rubini) an, der, unterstützt mit Schmiergeld für schmierige Journalisten und unwillige Wähler, den Heimkehrer zum Spitzenkandidaten und Sieger aufbauen soll. Mit dem Motto „Kümmer dich um deinen Scheiß“ und wirr-witzigen Kommentaren zu allem und nichts beginnt der Wahlkampf. Eine skurrile Posse des römischen Regisseurs Giulio Manfredonia (If I were you), mit viel Humor, netter Musik und schrillbunten Bildern erzählt. Die Figur des dreistdummen Frauenhelden und Geschäftsmanns Cetto La Qualunque schuf Antonio Albanese bereits 2003 für die RAI-Sendung Non c’è problema (Kein Problem). Qualunquemente (Whatsoeverly) ist ein kritisch-unterhaltsamer Kinofilm und eine mehr als sympathische Fortsetzung der TV-Serie auf großer Leinwand.

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11. Februar 2011 18:33:48

… Einfach nur: Claire, aber nicht Waldoff

Eigentlich heißt sie Bärbel, aber alle nennen sie nur Claire. Die junge Frau wurde hier geboren und berlinert etwas; kundenangepasst gleitet sie aber auch mal in’s Hochdeutsche. Ich kenne Claire schon einige Jahre. So etwa alle drei bis vier Wochen benötige ich ihre Dienste und suche dann den Friseursalon auf, in dem sie arbeitet. Die Frau beherrscht ihr Handwerk, schneidet akkurat, sehr flott und mit Leidenschaft. Nur das Waschen verläuft häufig suboptimal: Wenn ich auf ihren Stuhl klettere, habe ich mir den obersten Hemdknopf bereits geschlossen. Das hilft nur bedingt, denn Claire schafft es mit ihrer, nun ja, rustikalen Art doch immer wieder, mir Wasser in den Hemdkragen zu gießen, welches dann auch noch den Rücken besucht. Beim Haarschneiden entfaltet sich ihr Temperament in spürbarer Form. Ich sitze ja freiwillig hier, nehme also das rythmische „Batsch, batsch“ – wenn nämlich beim Wechsel von Schere zu Kamm mir letzterer an den Hals klatscht – wie ein zwar nicht angenehmes, aber unabänderliches Naturgeschehen hin. Claire wirbelt mein Haar durcheinander und wechselt ständig ihre Position, um besser angreifen zu können; denn sie ist der Feldherr und mein Kopf wird zum Schlachtfeld. Friedliche Variante: Sie ist der Dirigent, meine Haare ergeben die Partitur.

Wenn die Grobarbeit erledigt ist, folgt das Feintuning. Da nimmt sich Claire der Koteletten und Augenbrauen, ja sogar der Ohren- und Nasenhaare, nun aber mit größter Zurückhaltung und filigraner Technik an (einmal erzählte sie mir stolz, dass sie bei einem türkischen Friseurmeister das besonders sorgfältige Rasieren erlernt habe), wobei sie ja durchaus sieht, dass bei mir jedes Haar zählt. Meine regelmäßige Bemerkung, dass sie mich nicht in einen Dressman verwandeln muss, überhört sie ebenso, führt aber immer alles zu einem sehr guten Ende.

Die junge Frau verkörpert jenes handfeste, unverwöhnte, arbeitende und dennoch nicht auf Rosen gebettete Berlin, abseits vollmundiger Politiker, fern der Bio-Müsli- und Pastinakencremesuppen-Gemeinde, aber auch jenseits medienaffiner Landsleute sowie periodischer Krawallmacher verschiedenster Couleur. Claire ist eine von denen, die – meist unbeachtet – den Großstadtalltag auch im Kleinen am Laufen halten; eine heutige, moderne Variante jener Frauen, die auch von der ( zeitweisen ) Berlinerin Waldoff schon 1930 besungen und von Heinrich Zille gezeichnet wurde: Selbstbewusst, lebensklug, hart im Nehmen – wenn nötig, auch im Austeilen – und immer auf der Suche nach ein bisschen Glück. Claire ist eine gute Friseuse, aber ich weiß auch, wie verdammt wenig sie verdient. In Zukunft muss ich ohne sie auskommen. Die junge Frau hängt ihren Beruf an den Nagel und wird nochmal die Schulbank drücken. Ich wünsche ihr das Beste.

 

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Alltägliches

 

11. Februar 2011 09:03:53

… Berlinale Panoramablick 1: Tomboy

„Mikhael“, antwortet Laure (Zoé Heran), als die zehnjährige Lisa (Jeanne Disson) fragt, wie sie heiße. Laure möchte lieber Junge als Mädchen sein, und die Tatsache, dass sie mit ihren Eltern und der kleinen Schwester Jeanne (Malonn Lévana) mitten in den Sommerferien in eine neue Stadt zieht, ist ihre Chance. Lisa glaubt ihr – und verliebt sich prompt in Mikhael. Auch die anderen Kinder – Vince (Yohan Véru), Noah (Noah Véru), Cheyenne (Cheyenne Lainé) und Ryan (Ryan Boubekri) haben keine Zweifel. Obwohl das Leben als Junge nicht so simpel ist: Einfach in der Fußballspielpause am Spielfeldrand im Stehen pinkeln geht nicht, und der Besuch im Schwimmbad heißt nicht nur, den Badeanzug zerschneiden, damit er zur Badehose wird, sondern auch aus Knetgummi etwas basteln, das die Hose ausfüllt … Jeanne mit ihren großen Augen und den zauberhaften Locken kommt der großen Schwester auf die Schliche. Doch sie hält dicht. Raffiniert schlägt sie Laure einen Deal vor: sie hält die Klappe, dafür darf sie mit den „Großen“ spielen. Am Ende kommt Laures Scharade doch ans Licht. Céline Sciamma, die für ihr 2007 in Cannes präsentiertes Spielfilmdebüt Unter Wasser, über Kopf den französischen Louis Delluc Preis bekam, ist mit Tomboy ein netter Film gelungen. Ein bisschen blass vielleicht, angesichts des durchaus heiklen Themas von Geschlecht und Identität, und irgendwie am Ende ohne Alternative – Mädchen sind Mädchen, Jungs sind Jungs. Doch den mangelnden Tiefgang machen die wunderbaren KinderschauspielerInnen, die für den Film gecastet wurden, mehr als wett. 84 schöne Kinominuten also.

Kleiner Gesprächsmitschnitt:

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10. Februar 2011 17:27:01

… Berlinale. True Grit – ein Opening auch für Männer

Ein „Frauenfilm“ sei es, rechtfertigte Berlinale-Direktor Dieter Kosslick die Entscheidung, die Filmfestspiele mit einem Western zu eröffnen. Dass er die beiden Drehbuchautoren, das Erfolggespann Joel und Ethan Coen (No Country for Old Men; O Brother Where Art Thou?) gern ins ab heute bis zum 20. Februar festivalbewegte Berlin holen wollte, ist verständlich. Also True Grit, ein Frauenfilm, aber bestellt in der cineastischen Männerabteilung und, trotz einer begabten weiblichen Heldin (die 13jährige Hailee Steinfeld in der Rolle der verwöhnten aber auch mutigen Mattie Ross), beworben mit einem Plakat, das nur männliche Protagonisten kennt: Jeff Bridges (als Whiskey liebender Altersheld Rooster Cogburn), Matt Damon (als texanisches Plaudertäschchen LaBoeuf) und Josh Brolin (als tumb-brutaler Killer Tom Chaney).

„True Grit“ heißt übersetzt so viel wie „echter Schneid“ und ist damit eine originäre Ingredienz der amerikanischen Seele. Der Film – in diesem Jahr für diverse Ocars nominiert und ausdrücklich kein Remake der Produktion mit John Wayne von 1969 – basiert auf einem Fortsetzungsroman von Charles Portis, der 1968 in einer Zeitung namens Saturday Evening Post erschien. Er erzählt die Geschichte des Alpha-Girls Mattie, die loszieht, den Tod ihres Vaters zu rächen. Sie kennt den Mörder – Tom Chaney – und verfolgt ihn gemeinsam mit Marshall Cogburn und dem Texas Ranger LaBoeuf. Der Film hat, nach knapp zwei Stunden mit schönen Bildern und wildwesttauglicher Filmmusik, ein glückliches, und dann noch ein zweites indifferentes Finale. Natürlich endet die richtig gefährliche Jagd des nur unter großen Schwierigkeiten harmonisierenden Mann-Mann-Mädchen-Gespanns wie es sich für einen Hollywood-Western gehört: Die Guten siegen, die Bösen werden mit viel Knallerei erschossen. Und dann gibt es mit einem Fast-Forward von 25 Jahren noch einen Bonus-Track: Die mittlerweile erwachsene Mattie, jetzt eher verhärmt statt provozierend, und wie 59 wirkend obwohl sie rechnerisch erst 39 sein kann, erinnert sich anlässlich einer Rodeo-Roadshow in Memphis an Rooster, der aber leider gerade gestorben ist, und an LaBoeuf, von dem sie nie wieder gehört hat. Mattie ist ledig geblieben. Entweder weil sie zu selbstbewusst war, oder zu schwer, glücklich zu machen. Beides scheint möglich.

Der Eröffnungsfilm der Berlinale – wie bewertet frau ihn nun? Ein verspielter Film? Ein Film für Leute, die Abenteuer mögen und nicht so kritisch hinschauen? Ein Film, der visuell etwas Fantasy und inhaltlich auch Ironie ins Westerngenre holt? Treffende Charaktierisierungen. Es gibt auch ein paar ganz lustige Szenen und Dialoge. Und überflüssigerweise auch abgehackte Finger und andere brutale Nicht-Hingucker („Frauenfilm“?). Dann gibt es vermutlich Zuschauer, die nicht genervt sind, wenn ein Mädel, das nicht bekommt, was es sich gerade ins hübsche Köpfchen gesetzt hat, schmollt oder zickt und, wenn es denn gar nicht anders geht, ein bisschen weint. Ach so, ja: einmal nimmt sie auch die Pistole. Aber leider weiß sie nicht, was man damit so macht. Dafür kann sie Gruselgeschichten am Lagerfeuer erzählen, während der texanische Ranger traurig feststellt, dass es bei ihm zuhause nicht so viel Wasser gibt, wie in Arkansas, und der Marshall ein Seil um sein Waldbett legt, damit ihn die Schlangen nicht beißen.

Nein. Ich erwarte keinen Tiefgang von einem Western. Und da das Genre an sich ja politisch unkorrekt ist, kann ich auch damit leben, dass Mattie, weil sie schon wieder unartig ist, ganz „altmodisch“ mit dem Stock auf den Hintern eine Tracht Prügel bezieht (was die Schauspielerin, so erklärt sie in einem Interview, übrigens witzig fand). Schließlich spielt die Geschichte in der Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Da war das alles vermutlich so. Last but not least ist es bei Coen-Brürder-Filmen gewiss wie bei Tarantino: Man mag sie (ihn) oder eben nicht. Über all das will ich nicht schreiben. Nur noch so viel: Ich bin sicher, das Etikett Frauenfilm hat Kosslick nur in den Raum geschmissen, damit optimistisch-strahlende weibliche Schönheit mit großer Vorfreude auf einen Film ganz für sie heute Abend über den roten Teppich in den Berlinale-Palast am Potsdamer Platz strömt und die Show beginnen kann. So sei es!

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8. Februar 2011 21:00:38

… Augenblicke: Alex 8. Februar 2011

Die rötlich-gelb prahlende Nachmittagssonne tastet den Platz ab. Dabei fällt mir auf, dass die Granitplatten, mit denen es hier immer wieder Ärger gab, einen gereinigten Eindruck machen. Heute ist auf dem Alex wenig los, kein Gedrängel, kein Auflauf. Menschen tröpfeln über den Platz und der Abstand zwischen ihnen ist groß wie selten. Vor der Wohlthat’schen Buchhandlung steht eine Palette mit Büchern: Klaus Wowereit „… und das ist auch gut so. Ein Leben für die Politik“ wird für einen Euro angeboten. Der Regierende Bürgermeister zum Dumpingpreis. – Vor dem Berolinahaus hat sich eine Hare Krishna-Truppe, vom charakteristischen Orange dieser Glaubensgemeinschaft ist jedoch nichts zu sehen, postiert und singt voller Inbrunst und Ausdauer. Die Singegruppe besteht aus fünf jungen Männern und einer ebenso jungen Frau, alle europäisch und winterfest gekleidet; bis auf einen der Jungs, der mit nackten Füßen in Sandalen steckt und sich besonders aktiv und hingebungsvoll bewegt. Vielleicht friert er einfach nur. – Vor dem Ausgang des SATURN-Einkaufscenters haben sich gleich vier Bratwurstverkäufer in Stellung gebracht. Einer von ihnen, wahrscheinlich hat er vom langen Stehen mit dem Bauchgestell die Nase voll, achtet gar nicht mehr auf die aus dem Kaufhaus heraus kommenden, potentiellen Kunden. Sein unmittelbarer Nachbar ist da offensiver und lacht insbesondere asiatische Touristen an. Die Preise sind bei allen vieren gleich: 1,20 € pro Wurst. Preisabsprache! Wo bleibt das Kartellamt?- Der U-Bahnsteig der Linie 8 Richtung Wittenau ist mit Feierabend-Menschen reichlich gefüllt. Als sich die U-Bahn hereinschiebt, poltert eine plötzliche, laute Lautsprecherstimme etwas von „Warten auf den nächsten Zug, wenn man nicht mitkommt“. Macht aber keiner. Die Stimme vom Band, die dann in der Bahn die nächste Station ansagt, ist wesentlich freundlicher und sorgt damit für einen guten BVG-Abgang an diesem Tag.

 

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4. Februar 2011 12:58:09

… auch erotisch: Robert Mapplethorpe Retrospektive bei C/O Berlin

Phillip Prioleau 1980
Phillip Prioleau, 1980

Schöne Männer, interessante Frauen. Die Welt mal leicht gekippt. Erotische Akte – manche nennen es pornografisch – mit dem Titel Thomas oder Schwanz oder Mann im Polyesteranzug. Nicht weniger erotische Blumenstillleben – zwei sich erregt zuwendende Tulpen und mehr. Eindrückliche Portraits von Louise Bourgeois, Annie Leibovitz, Grace Jones, Cindy Sherman. Interessante Frauen, wie einführend gesagt. Außerdem Isabella Rossellini. Und natürlich ein eigener Raum für sein erstes Modell: Patti Smith.

187 Arbeiten des 1946 geborenen und 1989 leider viel zu früh an AIDS gestorbenen radikalen Fotokünstlers Robert Mapplethorpe zeigt die immer noch im Ungewissen existierende C/O Galerie in einer Retrospektive, die Felix Hoffmann in Kooperation mit der New York Robert Mapplethorpe Foundation und dem NRW Forum Düsseldorf kuratierte.

„I never liked photography. I like the object.“ steht als Credo des Fotografen an einer der Wände des Alten Postfuhramts in der Oranienburger Straße, das mit seiner angegriselten Patina so exquisit für Fotoschauen geeignet ist. Insbesondere für diese. Man hat Mapplethorpe Obszönität vorgeworfen, seine Werke wurden zensiert. Dabei sind seine Bildwelten und visuellen Körperkompositionen Ästhetik pur und gleichzeitig ein Medium, mit dem er einer bigotten Gesellschaft den Spiegel vorhält. Wortwörtlich zum Beispiel bei Bill: in der Mitte ein Spiegel, links und rechts gerahmt vom Bild eines Penis. Oder im 1. OG und hart an der Grenze zum Heldenepos der durchtrainierte Body in der Pose des Athleten, eingebettet in die Geometrie des Kreises oder Quadrats. Dann Kinderbilder: Sarabelle im braven Kleidchen am Klavier, ein schlappender Schuh als Verweis auf die Bereitschaft, Konventionen zu sprengen, die artige Anmutung subtil unterwandert. Oder ist das nur meine Fantasie? Zur Voyeurin gemacht und eingeladen, über das unmittelbar Zweidimensionale vor meinen Augen hinauszublicken. Eine (viele) andere Ebene(n) zu sehen.

Noch bis zum 27. März Fotografien von Robert Mapplethorpe in der C/O Galerie. Täglich 11-20 Uhr. Eintritt: € 10,–.

 

 

3. Februar 2011 20:52:46

… angeschaut: Billy Wilder and lovely Shirley

Billy Wilder, in Polen geboren, Jude, späterer US-amerikanischer Meisterregisseur, schaut seit beinahe neun Jahren von der rosarot eingefärbten Filmwolke auf die Erde nieder. Und was sieht er dort: Seine Filme, vor allem in den 40-er bis 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts gedreht, werden immer noch gezeigt. Das Publikum besucht die Retrospektiven (Sehnsucht nach Qualität), wie jetzt im Kino Babylon, amüsiert sich über seine Komödien und hört fasziniert den schnellen, intelligenten und frechen Dialogen „seiner“ Schauspieler zu. Gestern lief „Das Appartement“: Der kleine Versicherungsangestellte C. C. Baxter, gespielt vom Super-Komödianten Jack Lemmon – hier noch glatt und faltenlos – arbeitet in einem größeren Unternehmen und „vermietet“ seinen Vorgesetzten, auf deren freundlichen, aber direkten Druck hin, seine Wohnung für gelegentliche Schäferstündchen mit ihren jeweiligen, meist aus der eigenen Firma stammenden, Freundinnen. Seine Bosse geben sich zunächst sozusagen die Klinke bzw. den Wohnungsschlüssel in die Hand und später Baxter dafür die Möglichkeit Karriere zu machen, also seinen Platz im Großraumbüro gegen ein kleines Zimmerchen mit Grünpflanze einzutauschen. Dabei ist Baxter auch nahe dran, seine kleine, aber immer größer werdende Liebe zur anmutig-herzlichen Fahrstuhlversuchung des Versicherungs-Hochhauses zu opfern. Die überaus aparte Shirley MacLaine zeigt in dieser jungen Frau, die in der Fahrstuhlrolle zwar ein wenig naiv angelegt ist, dennoch aber eine zurückhaltende Kraft, mit der sie auch die diversen Auf und Ab in ihrem Leben gemeistert hat. Der Film lebt aber vor allem von Jack Lemmon, er starb 2001, der sich als Baxter Witze machend durch’s Leben windet, kämpft, gewinnt, verliert, aber letztlich Gesicht und Rückgrat zeigt.

Billy Wilder wollte mit diesem Film keine Komödie drehen und es gibt einige Szenen, da überdeckt die dargestellte Heuchelei und Verkommenheit sogenannten gutbürgerlichen Lebensstils auch jedes Lächeln. Dennoch überwiegt das witzige, humorige, komisch-tragische und letztlich das gute im Menschen. Die Wilder-Retrospektive endet am 6. Februar. Wer sich also den spritzigen Streifen „Das Appartement“ (Original mit deutschen Untertiteln) noch ansehen will, kann das am 5. Februar, 22:00 tun.

 

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2. Februar 2011 19:24:46

… Bitte: Journalisten voran!

Die Medienlandschaft in Berlin und Deutschland befindet sich zweifellos im Umbruch. Die Zeitungen kämpfen um Auflage und manchmal um’s Überleben. Das Internet eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation, erfasst abwandernde traditionelle, aber auch neue Leserschichten, ermöglicht eine bisher nicht gekannte Geschwindigkeit in der Berichterstattung, hat aber auch Schattenseiten hervorgebracht. Diese äußern sich z.B. darin, dass manche Leser glauben, sich im Dunkel der Anonymität ihrer Kopfgeburten und Aggressionen entledigen zu können, während andererseits Anbieter von Internetseiten mit der Begründung, ein gutes soziales Werk zu tun, das exzessive Sammeln persönlicher Daten mit einem geschäftlichen Ziel verbinden wollen. Hier sind Änderungen im System(?) unausweichlich und die Meinung der Experten gefragt. Wer aber ist ein Experte, wer ein guter Journalist?

Die Berliner Blätter berichten in diesen Tagen – um nur zwei Beispiele zu nennen – über die Räumung in der Liebigstraße 14 und die geplante Umgestaltung der Kastanienallee. Der TAZ von heute war die Entwicklung in der Liebig sogar einen Life-Ticker wert, der einen gemischten Eindruck aus Tagebuch, Kriegsberichterstattung und politischem Dschungelcamp vermittelt. Schlagzeilen kann man mit den beiden genannten Ereignissen zweifellos machen – mit Besetzung, Protest, Gewalt, Gentrifizierung jederzeit – weil es auch wichtige, exemplarische Themen für die Großstadt Berlin sind, die sozial immer gespaltener wird.

Zeitungsjournalisten verfertigen wunderbare Analysen über die Lage der Welt im allgemeinen und die Berlins im besonderen. Jedoch: Was ist aber mit den konkreten Themen, die jedem Berliner täglich auf den Nägeln brennen, ihn beschäftigen und beeinträchtigen. Warum geht nicht mal einer von den Zeitungsprofis bei so einem Thema richtig konkret in die Tiefe?
Beispiel Nr. 1: Kosten im Gesundheitswesen. Eine Packung Neo Angin Halstabletten kosteten Mitte Januar 2011 in meiner Apotheke 8,10 € (das sind 15,85 DM!!). Wie kann es sein, dass 24 Stück dieser Tabletten so teuer sind? Hat sich schon einmal ein Jounalist mit der Frage beschäftigt, wie hoch die Herstellungskosten für Medikamente sind und wieviel der Hersteller, der Großhändler bzw. Lieferant und die Apotheke dabei verdienen? Millionen Deutsche werden durch ein kostenmäßig ausuferndes Gesundheitssystem täglich und über Gebühr zur Kasse gebeten. Wäre das nicht mal eine knallharte und konkrete Recherche wert?
Beispiel Nr. 2: Versicherungen und Banken. Millionen Deutsche haben Lebensversicherungen abgeschlossen, viele mit Auszahlungen am Laufzeitende. Wieso ist es den Versicherungsunternehmen immer noch möglich, ihre Verträge bzw. Policen so schwammig zu lassen und dem Kunden keine klaren Aussagen zu liefern. Einfache Fragen: Betrag X wird eingezahlt. Wieviel Provision/Kosten nimmt sich die Versicherung? Wieviel bleibt für den Kunden? Wo ist die Transparenz?! Vor kurzem lief in den Medien eine Werbung mit einem DT-Schauspieler, der im Spot sinngemäß meinte: Sie sollen mich nicht verunsichern, sondern versichern. Was nützt ein Ombudsmann, der, wenn man später unzufrieden ist, nur punktuell helfen kann. Warum klemmt sich nicht mal ein Wirtschaftsjournalist dahinter und geht in medias res.
Beispiel Nr. 3: Die Verträge des Landes Berlin mit der S-Bahn und im Zusammenhang mit der Privatisierung der Wasserbetriebe haben ständigen und zum Teil gravierenden Einfluss auf das Alltagsleben der Berliner, aber auch für ihr Familienbudget. Berlin hat mit die höchsten Wasserpreise in Deutschland und was die S-Bahn und den Winterbetrieb 2009 und 2010/11 betrifft, erübrigt sich jede weitere Ausführung. Es wäre vom Grundsatz her nicht vorstellbar, das durch das Land Verträge abgeschlossen wurden, die zu Lasten der Allgemeinheit, das heißt der Bürger dieser Stadt gehen würden. Der S-Bahn-Vertrag ist vor einiger Zeit neu verhandelt worden, nur: Auch dieser Winter war ein Drama für die Berliner. Insofern besteht schon ein Interesse daran, was denn nun in diesem Vertrag drinsteht und was vielleicht geändert werden müsste. Welcher Journalist beschäftigt sich mal mit diesem Thema?

Fazit: Man hat in Deutschland oft den Eindruck, dass über das Spektakuläre, Abnorme, Glänzende, Oberflächliche besonders gern und viel geredet und geschrieben wird. Die lebenswichtigen Dinge werden aber oft in aller Stille und möglichst ohne große Öffentlichkeit abgehandelt. Insofern dienen Demokratie und Medien – ob sie das wollen oder nicht – mit ihren bisher praktizierten Riten und Instrumenten auch dem Wunsch einiger, bestimmte Dinge im dunklen zu lassen. Letzteres kann aber nicht im Interesse der Mehrheit sein. Es wäre Aufgabe von Berufsjournalisten, auch in komplizierte, ökonomische Fragen und Themen stärker hinein zu leuchten, oder?

 

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2. Februar 2011 14:01:19

… mediales Getue: transmediale 11 im Haus der Kulturen der Welt

paulvanouse_transmediale11

Es ist wiedereinmal eine Art Rummelplatz für arty nerds & geeks geworden. Überall werden große Datenmengen gesammelt, rekombiniert, visualisiert, verdampft, gelöscht oder auch mal mit Poesie und Tanz neu aufgeladen. Bücher, in denen endlose Datenbankinhalte gezeigt werden, Texte oder Bilder, machen die Runde. Und man gibt sich wissenschaftlich, sucht die Nähe zur Biologie und Genforschung, bleibt dabei aber auf einer rein phänomenologischen Ebene. D.h. man macht irgendwas, es passiert irgendwas, das visualisiert man irgendwie medial aufgebläht und dann schreibt man einen irrwitzig überbordenden Text zu den gewaltigen Möglichkeiten oder Erkenntnissen, die zumindest theoretisch mit der verwendeten Methode eröffnet wurden. „RESPONSE:ABILITY„. So geht heute Medienkunst und nebenbei verkommen wissenschaftliche Basismethoden (auf Schulniveau) zu Kunstevents. Als Paradebeispiel für solcherlei Vorgehen können die Arbeiten von Paul Vanouse gelten.

Am sympathischsten sind dabei noch die DIY-Stände, wo man aus Karotten Föten schnitzt, Lampen umstrickt oder eigene kleine Animationen improvisieren kann.

reynoldreynolds_transmediale11

Aber ich will nicht nur schlecht reden, es gibt auch sehr schöne, höchst artifizielle, letzlich nicht entschlüsselbare und vielleicht gerade dadurch stark anziehende Arbeiten zu sehen, und auch hier möchte ich exemplarisch eine Arbeit benennen. Wirklich wunderbaren Kunstgenuss bietet Reynold Reynolds im Studio 4, wo auf 8 Videoscreens die zusammenhängende „The Secret Trilogy“ zu sehen ist. Man erlebt den Gang der Zeit und den Lauf der Dinge, Leben und Tod, Selbsterkenntnis und Sexualität, fressen und gefressen werden, wachsen und sterben und es ist ein köstlicher Zeitvertreib. In Stop-Motion-Technik reihen sich symbolisch aufgeladene und poetische Bilder aneinenader, flimmern in künstlerischer Überhöhung und atemloser Geschwindigkeit.

Das Programm der transmediale 11 ist riesig und sicherlich gibt es ebenso viele interessante wie uninteressante Dinge zu sehen. Man muss es halt zu nehmen wissen.

 

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1. Februar 2011 18:11:07

… drei: Tom Tykwer gibt Nachhilfe zur Auflösung des deterministischen Biologieverständnises

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Der ideale Ort, um den neuen Film von Tom Tykwer Drei anzusehen, ist natürlich das Eiszeit Kino. Dort hat man fast das Gefühl, die Geschichte würde live über einige Außenkameras ins Kinoinnere übertragen, da eine ganze Reihe der wichtigsten Filmsets in direkter Nachbarschaft liegen: Das Badeschiff, das Jolesch, das Prinzenbad, die Hochbahn, die Bürgermeister-Imbissbude, usw. Dennoch ist es weniger ein Kiez-Film, als vielmehr ein Milieu-Film. Einigermaßen gut situiert und arriviert im Bereich der Berliner Creative-Industries tummelt sich in großer Gewohnheit ein langjährig zusammenlebendes Pärchen. Sie ist Redakteurin und Moderatorin in einem TV-Kulturjournal, das eine Kopie der 3sat-Kulturzeit zu sein scheint, er leitet ein etwas dümpelndes Unternehmen, in dem er für Künstler deren Entwürfe für Skulpturen oder Installationen umsetzt. Man ist liberal, debattiert ähnlich angeregt über Kopftuchverbote wie Begräbniskulturen, hat eine schöne aber mit Büchern und Bildern vollgestopfte Wohnung, liebt gutes Essen beim Österreicher, aber genehmigt sich auch mal ein bisschen kiezigen Fastfood, besucht Ausstellungen und Theater und versucht sich dabei totzdem ein bisschen körperlich fit zu halten. Mit anderen Worten das dargestellte Pärchen ist genauso alt wie ich, lebt ganz genau so – theoretisch freizüg und praktisch kleinbürgerlich – wie ich und mein ganzes Umfeld. Ich hatte wirklich das Gefühl, die Lebensgeschichte eines Freundes erzählt zu bekommen, zumal auch noch reihenweise Bekannte im Film erschienen, die einfach als sie selbst auftauchten. So wie sonst Stars kleine Gastauftritte als sie selbst bekommen, kommen in Drei die Normalos von nebenan vor die Kamera. Die Milieustudie trifft also ziemlich genau.

Und dann, im einem Moment, in das gezeigte Paar, allerdings jeder für sich, in eine mehr oder weniger bedrohliche Lebenskrise kommt, tritt da einer in das Leben der beiden, der ganz anders ist: … Weiterlesen

 

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