27. Dezember 2010 02:24:13
… am Fluss: Thomas Rauchfuß im Rio Grande
Seit Februar des Jahres heißt die Straße am Westufer der Oberbaumbrücke nicht mehr Groebenufer. Sie war bis dahin nach Otto Friedrich von der Groeben (1657-1728) benannt, der im ehemalig kurbrandenburgisch annektierten Ghana einen Sklavenverschiffungshafen errichtete, von wo aus über 30000 Afrikaner verschifft und verkauft wurden. Statt dem schändlichen Kolonialismus auf diese Weise noch nachträglich und fortgesetzt Ehre zukommen zu lassen, erinnert der neue Straßenname „May-Ayim-Ufer“ nun an eine Pionierin der afro-deutschen Kulturbewegung. Und das ist gut so!
An diesem Ort, an dem die jetzt wieder vollständig renovierte Doppelanlegestelle aufgebaut wurde, residiert das Restaurant Riogrande geführt von Edith Berlinger und Dietmar Schweitzer, dem österreichischen Pärchen, das durch das Horváth am Paul-Linke-Ufer und das Jolesch (inzwischen abgegeben) in der Muskauer Straße reichlich Erfahrung mitbringen. Schon im Jolesch hing sehr lange ein imposanter neoexpressiver Triptychon von Thomas Rauchfuß, auf dem eine Gesellschaft rund um ein auf dem Tisch liegendes, blutend aufgeschlitztes Schwein feiert. Nun am neuen Ort hängen wieder drei Bilder, auch sie gehören zusammen, sind aber doch einzelne Bilder. Aus Expressionismus wurde inzwischen leicht surrealer Symbolismus. „Woher wir kommen – was wir sind – wohin wir gehen“ heißen sie. Drei Flöße auf einem Fluß. Erst braune Soße, dann klare Brühe, schließlich dunkle Fluten. Das wir besteht nur aus Männern, ziemlich kernige Typen mit düsteren Visagen. Erst sehen sie aus wie ein abgerissener Haufen von entfremdeten Kolonialisten, irgendwo im Urwald. Man ist an Fitzcarraldo erinnert – steht da Heiner Müller in der Mitte? Einen ihresgleichen haben sie schon gerichtet, seinen Kopf haben sie auf eine Lanze gespießt – vermutlich um die Eingeborenen abzuschrecken, die ringsumher im Wald mit scharfen Augen und gespannten Bogen über das Floß wachen, damit es ja nicht anlandet. Diese Typen sind bedrohlich planlos, nehmen alles was sie kriegen können – lässt sich bestimmt irgendwie versilbern. Im Zweifel wars halt zur Ehre des Vaterlandes oder des Königs. Egal, läuft doch. Auf Bild zwei stehen sie auf leiterartigen Ausgucken, geladen sind Schweine. Schlachtvieh. Sie bringen es in die große Stadt, zu Menschen, die nichts davon wissen wollen, wo die Ladung herkommt. Den Typen auf dem Schweinefloß soll’s recht sein – sie werden bezahlt für ihre Ware. Alles fließt. Auf Bild drei gibt es längst nichts mehr zu schlachten. Außer Schrott ist nichts von der Zivilisation übriggeblieben. Doch der Handel floriert noch immer. Alles schon mal durchgekaut, aber immer noch gut. Recycling heißt das Zauberwort. Wie jeder Tropfen Wasser im Fluss. Alles schon mal dagewesen, seit Millionen Jahren: Steady state.
Am Abend der Vernissage schwammen die ersten Eisschollen des frühen Winters über die Spree. Eine davon absolut viereckig darauf drei Rauchfußschwäne. Kunst am richtigen Ort, wie aus dem Leben gegriffen.
Noch bis zum 30. Januar, May-Ayim-Ufer 9