3. April 2011 14:44:01
… ein geeigneter Ort, um nationale Psychosen zu diskutieren: Wende in der arabischen Welt?
Schon letzten Sonntag war ich im Haus der Kulturen der Welt zum Podiumsgespräch: „Wende in der arabischen Welt? Arabische und europäische Blicke auf die aktuelle Situation in Nordafrika„. Eingeladen waren viele Gesprächspartner aus ganz verschiedenen Ländern, die durchaus unterschiedliche Lageberichte abgaben, und denen auch sehr verschiedene Themen und Sichtweisen wichtig waren. Allen gemeinsam war allerdings ein realistischer und zuversichtlicher Optimismus, dass es im arabischen Teil der Welt zu einer nachhaltigen Veränderung Richtung Wahrung der Menschenrechte kommen wird. Alle glaubten, dass es zwar viel Zeit brauchen wird, da die Regime in den verschiedenen arabisch geprägten Ländern das „Konzept des Staatsbürgers“ seit Generationen bewusst hintertrieben hätten, und die Menschen deshalb kaum Erfahrung mit dem entsprechenden Gefühlszustand hätten, über den sie auf die Idee kommen könnten, die nationale Regierung für die eigene Miserie verantworlich zu machen, oder etwa zu verlangen, dass innerhalb der Staatsgrenzen Bürgerrechte umgesetzt werden müssten. Aber sie waren sich einig, dass die Mehrheiten nicht hinter die alten Standards zurückfallen wolle, dass es bei aller Verunsicherung in den Ländern auch ein motivierendes Gefühl der Befreiung gäbe.
Interessant war ein Statement von Hisham Matar, der sagte, dass er glaube gerade Berlin sei ein geeigneter Ort, um über die Gefühlslagen in der arabischen Welt zu sprechen. Die Deutschen hätten viel Erfahrung beim Bearbeiten von nationalen Psychosen und wären immer wieder zu ermutigenden Ergebnissen gekommen. Das könne den Arabern nur helfen. Dies quasi bestätigend meldete sich ein Zuhörer aus dem Plenum zu Wort und beschrieb seine persönlichen Empfindungen als arabischer Auswanderer, der schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, als er wie gebannt vor den Fernsehnachrichten saß und sah, wie sich die Menschen in Tunesien und Ägypten gegen die korrupten Machthaber erhebten. Er sagte, er hätte zum ersten Mal so etwas wie Stolz darauf verspürt, ein Araber zu sein, nachdem es ihm in seinem ganzen bisherigen Leben immer eher peinlich gewesen war, wenngleich er sich bewusst war, dass er als Exilant aus der Ferne nicht mehr als ein Zuschauer war. – Eine Mischung aus Peinlichkeit und Stolz: Vielleicht wirklich gute Arbeitsbedingungen für Deutsche.
Am 11. April 2011 um 08:26 Uhr
Wir (Mitteleuropäer,Nordamerikaner) müssen endlich begreifen, dass die arabische, aber darüber hinaus auch die islamische Welt anders ist. Politische und ethisch-moralische Prinzipien und Erfahrungen sind nicht ohne weiteres übertragbar. Spätestens seit Irak und Afghanistan ist – abgesehen vom militärischen Engagement, welches sowieso zu verurteilen ist – klar: Wir verstehen die Geschichte und Kultur dieser Länder nicht, versuchen aber, ihnen unsere Erfahrungen und Prinzipien aufzupfropfen. Ähnlich ist es mit Nordafrika. Es gibt dort teilweise noch Stammesdenken und ein durch den Westen hofiertes System von Diktatoren, die oft, wie in Libyen oder Ägypten als Befreier von feudalen bzw. kolonialen Systemen begannen. Nun wollen wir diesen Völkern, die sich alle selbst erhoben haben, etwas von Demokratie und Bürgerverhalten in unserem Sinne erzählen. Ich glaube, diese Völker finden den Weg, der für ihre Situation der richtige ist, schon allein.