10. November 2008 15:49:04
… temporär: in der Kunsthalle auf dem Schlossplatz singen die Fans von Candice Breitz
Candice Breitz, Working Class Hero (A Portrait of John Lennon)
Der Kasten hat etwas von InfoBox in blau. Doch so wie die rote Kiste zu Zeiten der großen Baustelle am Potsdammer Platz über dem Leipziger Platz schwebte, so klebt die neue blaue Kiste genannt Temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz am Boden. Dabei soll sie so leicht aussehen, geziert von einer Wolke, die luftig gedacht und kantig gemacht wurde. Der Neo Geo Meister Gerwald Rockenschaub nahm den Faden aus dem vom Kunstmagazin monopol evozierten Ideenwettbewerb auf, der letztlich auf den Antagonismus zwischen der „Wolke“ und der „Kiste“ hinauslief. Die himmlisch visionäre Architekturstudie aus dem Büro Graft konnte aus Finanz- und Nutzungsgründen (natürlich) nicht realisiert werden und so entstand der jetzige Entwurf, der einem temporären Konzept deutlich angemessener erscheint. Rockenschaub fand dazu das Werk-aufwertende Ludwig Wittgenstein-Zitat „Wolken kann man nicht bauen. Und darum wird die erträumte Zukunft nie wahr“ und malte auf die Kiste zwei Giga-Pixel-Wolken. Die Arbeit hängt damit unentschieden zwischen Ironie und Versöhnung und ist im Detail leider auch noch schlecht an die Architektur angepasst (oder andersherum). So schneiden die dunklen Fensteröffnungen zur Rückseite des Baukörpers völlig unmotiviert einige Stücke aus der weißen Fläche heraus. Das Gesamtbild verliert dadurch seine entworfene Leichtigkeit und es sieht eher wie ein Rest einer Bemalung aus, der sich nicht gegen die Nutzung behaupten konnte. Wenn schon Minimalismus, dann bitte mit maximaler Perfektion, sonst fällt alles in sich zusammen.
Im Innenraum startete die Temporäre Kunsthalle mit einer Monoschau von Candice Breitz (aus Südafrika), die für ihre raumgreifenden und seriellen Videoinstallationen bekannt ist. Die großzügige Halle … wird von einer zu zwei Gruppen kombinierten Installation gefüllt. Es laufen Variationen auf ein Thema unter dem Namen „Inner + Outer Space“. Breitz ließ Fans von John Lennon, Michael Jackson und Madonna jeweils ein ganze Platte durchsingen, die die Kandidaten über Earphones hörten, und zeichnete Videos der Menschen während ihrer Performance auf. Diese Videos der einzelnen Performer wurden in der Ausstellung zu einer synchron ablaufenden Chor-Installation zusammengefügt. So sieht man Menschen bei ihrer Interpretation der Musik, des Gestus, der Mimik des Gesangs des Stars, dessen Fans sie sind. Candice Breitz nennt diese Installationen nach dem Star, z.B. „A Portrait of Michael Jackson“, der sich quasi durch die Fans hindurch abbildet. In jedem Fan spiegelt sich eine Facette der Persönlichkeit des Stars, der durch diese Erscheinung zu einem Sein kommt – ein Grundgedanke des Existenzialismus. Wir als Zuschauer nehmen dabei die Position eines Casting-Jurors ein, der dem einzelnen Performer eine Beurteilung zukommen lassen kann. Spaß macht das vor allem dann, wenn man selbst mit dem Vorbild (dem Star) gut vertraut ist, hingegen wird der Blick für den Performer deutlicher, wenn zu einem John Lennon gesungen wird, der einem nicht (mehr) im Ohr ist.
Es ist tatsächlich ein ungewöhnlicher Blick auf das Starsystem, den Candice Breitz da konstruiert hat, denn der indirekte Fokus auf den Star durch die direkte Identifizierung der Fans mit seiner Musik, fördert ein Chimärenwesen hervor, das ständig zwischen dem Einzelnen und dem Star hin und her changiert. Während die Fans auf unterschiedliche Art und Weise ihre Beziehung zum Idol ausdrücken, stellt sich die Frage, wie sich individuelle Kreativität unter dem Druck der Massenmedien entwickeln kann.
Bis 27. November. Dann wechselt das „Video-Programm“ für einen weiteren Monat bis zum 28. Dezember.
Die Temporäre Kunsthalle wurde zum größten Teil privat vom Mäzen Dieter Rosenkranz finanziert. Es ist ihm zu verdanken, dass es diesen Ort in dieser Form gibt, aber es ist auch ein Ort der Selbstdarstellung des Mäzens. Eine sogenannte Win-Win-Situation für Stadt und Initiator. Hoffen wir, dass es zu einem dritten „Win“ für die Kunstentwicklung in der Stadt führt.